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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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Rückenlehne und beugt sich vor. »W as ist denn das da drüben«, fragt er und deutet zur Wand gegenüber dem Fenster, die in voller Breite und Höhe von Lilas Leinwand eingenommen wird.
    »Das Projekt, an dem ich gerade arbeite«, antwortet Lila. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich es jemandem zeigen will; es ist ein bisschen eitel.« Die Leinwand ist mit Hunderten identischer Ausdrucke eines Schwarzweißfotos von ihr gepflastert, ein riesiges grafisches Rechteck, und auf jedem Ausdruck sind Haare, Kleider und Haut in anderen Schattierungen koloriert, so dass alle diese verschiedenen Ausgaben ihrer selbst von Weitem wie ein Farbspektrum erscheinen, die eine Seite dunkel, negroid, gothic, die Mitte heller, die andere Seite dann völlig verblasst; hier sind die Farben so verwaschen, dass Lila fast ausgelöscht scheint, buchstäblich weggemalt.
    »W orum geht es in dem Bild?«, fragt Henry.
    »Nur um den Effekt von Licht und Dunkel – was sie enthüllen, was sie verbergen«, sagt Lila schlicht.
    Als klar ist, dass sie sich nicht weiter dazu äußern wird, meint Henry: »In Whitstable hast du auch etwas darüber gesagt. Dass Licht blenden kann, dass es manchmal mehr verbirgt, als es enthüllt.« Bei der Erwähnung von Whitstable wirft ihm Lila einen warnenden Blick zu, er ist gefährlich nahe dran, die Grenzen des Hinnehmbaren zu überschreiten, aber Henry bemerkt diesen Blick natürlich nicht. »Ich habe das Gefühl, als hätte ich diesen Tag geträumt. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich jemals so vollkommen glücklich gewesen bin …«
    »So, jetzt bist du kurz reingekommen, wie abgemacht. Zeit, dass du gehst«, unterbricht ihn Lila entschlossen.
    »Du hast gesagt, auch du wärst vollkommen glücklich«, ruft Henry ihr ins Gedächtnis. »Du hast mich geküsst, als wäre ich der letzte Mann auf Erden.«
    »Ja, danke für die Erinnerung. Zeit, dass du gehst, hab ich gesagt.« Henry sieht aus, als wolle er widersprechen, bleibt dann aber wortlos stehen. »Hör mal«, blafft Lila ungeduldig, als er sie verletzt und unsicher anschaut. »Ich will nicht gemein sein, aber es ist ja nicht so, dass ich dich abserviere. Denn wir waren überhaupt nie zusammen. Wir haben nicht mal miteinander geschlafen. Und eins kannst du mir glauben: Eine Beziehung mit mir ist das Letzte, was du willst. Du musst doch inzwischen begriffen haben, dass ich das totale Biest bin, jedenfalls alles andere als das große Glück. Ich könnte dir das Herz brechen.«
    Henry fängt sich allmählich wieder. »Ich glaube nicht, dass ich schon einmal jemandem begegnet bin, der gleichzeitig so viel und so wenig von sich hält«, sagt er. »Du musst mich nicht beschützen, ich bin vollkommen in der Lage, selbst für mich zu sorgen.«
    »Hast du immer noch nicht kapiert, dass kein bisschen Selbstlosigkeit in mir steckt?«, faucht Lila. »Nicht dich will ich schützen, sondern mich selbst.«
    »W ovor? Dass dich jemand gern hat? Dass dir jemand nahekommt? Da kommst du zu spät, das ist schon passiert.« Henry wird lauter.
    »Ach, verdammte Scheiße«, schreit Lila aufgebracht und schleudert das Weinglas gegen die Ziegelwand über dem Kamin, dass es zerbricht; Wein und Splitter spritzen durch die Gegend und verschmelzen nahtlos mit dem Chaos auf dem Boden. »W arum bist du wirklich hier, Henry?«, keift sie ihn wütend an. »Du musst doch gewusst haben, dass ich dich nicht wiedersehen will. Ja, wir hatten einen wunderbaren Nachmittag. Ja, wir haben uns ein bisschen geküsst. Und ja, ich habe mich eine Weile glücklich und geborgen gefühlt. Und als ich nach Hause gekommen bin, rat mal, Henry, was dann passiert ist? Ich war immer noch ich. Die beschissene kleine Giftspritze. Ich hab dir schon mal gesagt, dass ich mich deinetwegen nicht in einen netten Menschen verwandeln werde.« Heftig atmend, um ihre Tränen zu unterdrücken, bückt sie sich und fängt an, die Glasscherben aufzusammeln. Da bohrt sich einer der Splitter tief in ihre Hand. »Scheiße! Scheiße! Scheiße!«, flucht sie, als hellrotes Blut zum Rotwein in den Teppich tropft; sie saugt an dem Schnitt, dann geht sie zur Spüle und lässt eiskaltes Wasser darüberlaufen.
    »Hast du dir wehgetan?«, fragt Henry besorgt, während er vorsichtig den Raum durchquert und sich neben sie stellt.
    »Du bist immer noch da?«, fährt ihn Lila an. »Also weshalb bist du gekommen? Bist du auf einen Abschiedsfick aus? Wenn ich dich damit zur Tür rauskriege, bring ich auch das noch gerne hinter mich, das kannst du

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