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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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hinten eine Lücke gelassen, damit ich herauskomme«, fügte sie hinzu. »Damit ich später nicht alles wieder aufbauen muss.«
    »Bist du bereit für den Spieleabend?«, fragte Asif.
    Yasmin nickte und sah auf die Uhr. »Ja, in sechsundzwanzig Minuten, um sieben«, sagte sie.
    Asif nickte ebenfalls und lächelte Yasmin an. Er wünschte, sie würde sein Lächeln manchmal erwidern. Sie lächelte fast nie, außer bei völlig unpassenden Gelegenheiten, wenn zum Beispiel draußen jemand irgendwo gegenlief und sich wehtat. Als Asif einmal mit ihr an einem Pub vorbeiging, hatte sie laut über einen Betrunkenen gelacht, der auf den Gehweg gestürzt war. Der Betrunkene hatte aggressiv gebrüllt: »Findest du das vielleicht lustig, du Arschloch?« Yasmin war daraufhin abrupt stehen geblieben und hatte über seine Frage nachgedacht. Dann hatte sie genickt und wollte zu einer Erklärung ansetzen, warum sie es lustig fand, doch Asif hatte sie hastig weitergezerrt; lieber hatte er ihr Gejammer und Geheul in Kauf genommen, als sich von dem Betrunkenen verprügeln zu lassen. Später berichtete er Mum besorgt von dem Vorfall; sie erklärte Yasmin, dass es manchmal besser war zu lügen, wenn die eigene Sicherheit auf dem Spiel stand. Asif war skeptisch, wie viel davon bei Yasmin ankam.
    »Yas, warum bist du so spät nach Hause gekommen?«, fragte er schlicht.
    Sie machte eine längere Pause als üblich, aber als sie schließlich zu reden begann, hörte sie gar nicht mehr auf, die Worte flossen in einem eintönigen Strom aus ihr heraus. »Als ich aus der Circle Line aussteigen sollte, lag Hundekacke auf dem Bahnsteig, und ich wollte nicht aussteigen und drübersteigen, deshalb bin ich im Zug geblieben und weitergefahren. Und weil ich nicht gern zurückfahre, bin ich nicht bei der nächsten Station ausgestiegen und zurückgefahren, sondern einfach im Zug geblieben und einmal die Circle Line im Kreis gefahren, bis ich wieder bei der richtigen Station angekommen bin. Deswegen mag ich die Circle Line, weil sie nicht irgendwo anfängt und endet, sondern den ganzen Tag immer im Kreis fährt. Inzwischen war die Hundekacke weggeputzt, ich bin aus dem Zug gestiegen und umgestiegen, und dann bin ich nach Hause gekommen.«
    »Alles klar«, sagte Asif. Er war sehr erleichtert und sehr traurig zugleich. Niemand hatte sie eingeschüchtert oder schikaniert, sie war nicht von den Pendlermassen abgedrängt worden, hatte sich nicht verirrt. Aber wenn Yasmin nicht einmal über Hundekacke steigen konnte, wie sollte sie je mit der ganzen Scheiße fertig werden, mit der die große, weite Welt sie bewerfen würde? In zwei Jahren würde er an die Uni gehen, dann wäre das alles nicht mehr sein Problem. Asif fand den Gedanken ausgesprochen tröstlich, kam sich aber gleichzeitig ganz schön mies dabei vor.
    Etwa sechsundzwanzig Minuten später saßen Mum, Asif, Lila und Yasmin um das Monopoly -Brett versammelt, zwischen den Pizzen, die Asif in weiser Voraussicht hatte kommen lassen. Yasmin spielte mit der leidenschaftlichen Konzentration, die wohl nur Kinder aufbringen können, mit der durch nichts abzulenkenden, hungrigen Konzentration einer Katze, die eine Maus beobachtet. Beim Würfeln wippte ihr brauner Pferdeschwanz, und in ihrem feierlichen Ernst wirkte sie fast anziehend. Mum lächelte, und Lila lachte, als sie mit ihren wunderschönen Zähnen an der Pizza zerrte; lange Käsefäden zogen sich von dem Stück in ihrer Hand bis zum Mund. Asif kam unwillkürlich der Gedanke, dass ein Fremder, der durch das Erkerfenster ins Wohnzimmer blickte, sie für eine vollkommen normale, vollkommen glückliche Familie halten musste.
     

     
    Später am Abend ging Lila nach unten, um sich aus Mums Handtasche die stachlige Haarbürste zu nehmen, die sie heimlich benutzte, wenn das Jucken unerträglich wurde; ihre Nägel wurden so kurz gehalten, dass sie sich damit nicht kratzen konnte. Lila machte kein Licht, denn sie wollte Mum nichts erklären müssen; wenn Mum sie erwischte, würde sie sagen, dass sie sich nur etwas zu trinken holte. Sie zog die Bürste aus der Tasche, die über einem Küchenstuhl hing, und goss sich zur Sicherheit ein Glas Wasser ein. Auf dem Rückweg nach oben hörte sie aus dem Bad ein merkwürdiges, stöhnendes Geräusch. Mum weinte also wieder, wie nach Dads Tod. Lila blieb auf der Treppe stehen; sie wollte von Mum nicht entdeckt werden. Allerdings bemerkte sie, dass sie nicht die Einzige war, die nachts herumgeisterte. Yasmin stand, kaum

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