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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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mir glauben.«
    »Ich will keinen Abschied, Lila«, sagt Henry. »Ich will dich. Und ich will dich nicht anders, als du bist. Mir liegt an dir, und ich halte nichts davon, Menschen zu verlassen, an denen mir liegt. Schon gar nicht, wenn sie an der Küchenspüle verbluten.« Behutsam nimmt er ihre kalte, taube Hand in seine und küsst sie zärtlich. Die Taubheit breitet sich in Lilas Körper aus; sie lehnt sich an die Küchenzeile. Versucht gar nicht erst, ihre Hand zurückzuziehen. Und während er mit seinem frisch gebügelten weißen Taschentuch ihren Schnitt trocknet und umwickelt, betrachtet sie aufmerksam sein Gesicht, die scharfen Kanten seiner Wangenknochen, seine gerade Nase, seine hohlen, müden Augen.
    »Ach, du bist ja so ein Idiot«, sagt sie schließlich. Sie hat alles versucht, um ihn von sich zu stoßen, aber er ist immer noch da und hält ihre Hand.
    »Ich weiß, das sagtest du bereits«, erwidert Henry. Er beugt sich zu ihr, umschlingt ihre Taille und will sie küssen, doch sie drückt ihn so energisch von sich weg, dass er ein paar Schritte rückwärtstaumelt.
    »Hast du Lust auf eine kleine Spritztour?«, fragt Lila, bevor er Luft holen kann. »Falls du heute Abend noch nichts vorhast.«
     

     
    »W o fahren wir denn hin?«, fragt Henry noch einmal, als Lila endlich den Nordring umrundet hat und auf die Südlondoner Vororte zusteuert.
    Lila spannt ihn weiter auf die Folter. »Du wirst schon sehen.«
    »Klingt ja ominös«, sagt Henry. »Du willst dich doch nicht mit mir von einer Brücke stürzen, einer Klippe oder dergleichen?«
    »Ganz so düster dramatisch bin ich dann doch nicht.« Lila schaltet geräuschvoll. »Aber danke für das Kompliment.«
    »Du meinst, für das Vertrauen«, berichtigt Henry.
    »Nein. Du hast schon richtig gehört.« Sie fährt weiter, und nach einer Weile, als die Sonne schon tiefer steht, hält sie vor einem hohen Tor aus Maschendraht und tippt in den Kasten daneben einen Sicherheitscode ein. Das Tor öffnet sich, sie steigt wieder ein und fährt hindurch. Als sie endgültig anhält, steigt Henry aus und sieht sich verwundert in der riesigen, verlassenen Arena um, die im schwindenden Licht vor ihm liegt; um etwas zu erkennen, kneift er wieder angestrengt die Augen zusammen. »Ist es das, wofür ich es halte?«
    Lila schüttelt den Kopf. »Nicht ganz. Es ist eine Gokartbahn, keine richtige Autorennstrecke. Einer meiner Freunde fährt total auf Gokarts ab; er hat wie ich das Kunststudium geschmissen und arbeitet jetzt hier.«
    »Aber warum sind wir hergekommen?«, fragt Henry.
    Grinsend antwortet sie: »Na, wieso wohl? Ich dachte, das hättest du inzwischen kapiert? Alle Jungs sind doch wild auf Autos, oder?« Sie wirft ihm ihre Autoschlüssel hin, und er fängt sie auf, nachdem sie schmerzhaft gegen seine Brust geprallt sind.
    »Aua!«, beklagt er sich und wiegt die Schlüssel in der Hand; einen Sekundenbruchteil später begreift er. »Das ist ein Witz, oder?«, fragt er ungläubig. »Das geht doch nicht, oder? Mein Gott, glaubst du wirklich, wir können?« Als Lila bedeutsam schweigt, breitet sich wieder dieses leuchtende Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Du bist unglaublich! Dass du dich daran erinnerst!« Spontan macht er einen Schritt auf sie zu, um sie zu umarmen, aber sie schubst ihn wieder weg.
    »Mach schnell, bevor es zu dunkel wird«, sagt Lila. »Ich komme hier zwar rein und raus, aber die Flutlichter kann ich nicht einschalten.« Sie setzt sich auf den Beifahrersitz. »W orauf wartest du, Henry? Mit dem Griff an der Seite kannst du den Sitz verstellen, die Kupplung ist links, in der Mitte die Bremse und rechts das Gas. Los jetzt.«
    Henry steigt ein, schaltet herum, bis er sicher ist, wo die Gänge liegen, und dreht dann den Zündschlüssel. »Mein Gott, ich fühle mich wie ein kleiner Junge«, sagt er, als der Motor aufbrummt und mit einem Heulen protestiert, weil Henry zu heftig aufs Gas tritt. Behutsam hebt er den Fuß von der Kupplung, und das Auto setzt sich im ersten Gang langsam in Bewegung. Henrys Vertrauen nimmt zu, er gibt Gas und schaltet in den zweiten, dritten, vierten Gang hoch.
    »Nach links!« Lila lacht halb, halb kreischt sie. » LINKS , hab ich gesagt!« Sie krümmt sich in hysterischem Gelächter, als er mit quietschenden Reifen in die Kurve geht, und so fahren sie Runde um Runde, in verrückten, torkelnden Kreisen, bis die Sonne untergeht.
     

     
    Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, liegt Henry auf der Motorhaube von Lilas Auto. Er

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