Als ich unsichtbar war
liegen sie falsch. Am besten kann ich mich mit nur einer Person unterhalten, die mich gut genug kennt, um mir zuvorzukommen, wenn ich etwas sagen will.
»Du willst ins Kino?«, fragt Erica, wenn ich auf ›K‹ und ›I‹ zeige.
»Na, könnte dir die gefallen?«, fragt sie, als ich einer Frau zulächle, die an uns vorbeigeht.
»Wasser?«, vermutet sie, wenn ich im Laptop mein Getränke-Gitter aufrufe.
Ich finde es prima, dass Erica da mitspielt, denn mir ist genauso wie jedem anderen an Abkürzungen gelegen. Nur weil mein Leben so langsam abläuft wie bei einem Riesenbaby, das Windeln, Flaschen, Strohhalme und Sonnenhut braucht, bevor es das Haus verlassen kann, heißt das noch lange nicht, dass ich es auch in dieser Form genieße. Deshalb freue ich mich, wenn Leute, die mich gut kennen, mir dabei behilflich sind, die Dinge ein wenig zu beschleunigen. Sie scheinen keine Angst davor zu haben, dass ich es ihnen übel nehmen könnte, falls sie mitten im Gespräch dazwischenfunken. Wenn sie doch nur wüssten, was ich dafür geben würde, mich an den Wortgefechten beteiligen zu können, die ich um mich herum höre.
Häufig frage ich mich, ob die Leute mir wohl überhaupt einen Sinn für Humor zutrauen. Komik wird vor allem durch das richtige Timing, durch schnellen Vortrag und eine hochgezogene Augenbraue bestimmt. Vielleicht könnte ich Letzteres mit größter Kraftanstrengung gerade noch schaffen, doch die anderen beiden Voraussetzungen sind ein echtes Problem für mich. Man muss mich schon sehr gut kennen, um zu wissen, dass ich gerne herumblödle; und die Tatsache, dass ich oft so stumm bin, führt bei anderen leicht zu der Annahme, ich sei sehr ernsthaft. Manchmal kommt ein Gefühl auf, als sei ich immer noch jemand, dem andere ihre eigene Vorstellung von dessen Charakter aufdrücken, so wie es all die Jahre gewesen ist, als ich nicht kommunizieren konnte. In so vielerlei Hinsicht bleibe ich ein unbeschriebenes Blatt, auf dem man sein eigenes Drehbuch schreiben kann.
»Sie sind richtig süß«, sagen Leute häufig.
»Was für ein sanftes Wesen Sie haben!«, erzählt man mir ein ums andere Mal.
»Sie sind ja so ein netter Mensch«, trällert jemand.
Wenn diese Leute doch nur um die quälende Angst, die lähmende Frustration und die schmerzenden sexuellen Gelüste wüssten, die sich zuweilen meiner unbarmherzig bemächtigen. Ich bin nicht der sanfte Stumme, den sie in mir sehen möchten; ich habe nur das Glück, dass ich meine Gefühle nicht unbeabsichtigt betrüge, indem ich vor Wut durchdrehe oder aus Verdruss zu winseln beginne. So wird mir jetzt häufig bewusst, dass ich eine Chiffre bin für das, wofür andere mich halten wollen.
Die einzigen Gelegenheiten, bei denen die Leute garantiert scharf darauf sind, in Erfahrung zu bringen, was ich sage, sind jene, in denen ich nicht mit ihnen spreche. Kinder sind nicht die Einzigen, die ihren eingebauten Voyeurismus offen zum Ausdruck bringen, indem sie einen anstarren – Erwachsene verbergen ihn nur besser. Oft werde ich angegafft, wenn ich Wörter auf meiner Alphabetvorlage buchstabiere, mit Händen, die vielleicht immer noch der unberechenbarste Teil meines Körpers sind. Während meine linke Hand weitgehend unbrauchbar bleibt, kann ich die rechte dafür benutzen, auf die Buchstaben in meinem Alphabet zu zeigen und die Schalter meines Computers zu bedienen. Doch etwas wie eine Tasse festhalten kann ich nicht. Obwohl ich kleine Happen mit den Fingern zum Mund führen kann, ist mir das beispielsweise mit einer Gabel nicht möglich, da ich befürchten muss, mich damit zu stechen, da meine Bewegungen zu ruckartig sind. Immerhin werde ich im Gebrauch meines Alphabets jetzt so schnell, dass es für Fremde immer schwieriger wird, mir über die Schulter zu schauen und zu folgen.
»Er ist einfach zu fix für mich!«, sagte meine Mutter lachend zu einem Mann, der uns an der Kasse eines Supermarkts neugierig zuschaute, wie wir in der Schlange miteinander schwatzten.
Der Mann blickte verlegen zur Seite, als meine Mutter ihn ansprach, offensichtlich hatte er Angst, beschimpft zu werden. Doch wir sind inzwischen so daran gewöhnt, bei unseren Gesprächen beobachtet zu werden, dass weder meine Mutter noch ich uns daran stören.
Trotz all dieser Schwierigkeiten beim Kommunizieren schätze ich immer noch die Tatsache, dass ich überhaupt die Möglichkeit bekam, mich sprachlich zu äußern. Ich habe die Gelegenheit beim Schopf gepackt, und ohne sie wäre ich nicht dort,
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