Als ich vom Himmel fiel
schwelenden Glut so lange Luft zu, bis endlich ein vernünftiges Feuer zustande kam. Außerdem beeindruckte mich, dass er auch im strömenden Regen, ohne zu zögern, in den Wald ging, um in den Bächen die Zuckmückenlarven zu suchen, über die er arbeitete. Um einen Baumkaktus zu ergattern, er sammelte und züchtete zuhause Kakteen, scheute er sich auch nicht, auf gefährlich morschen Ästen über Bächen und Tümpeln herumzuklettern. Das war eine Sache, die er und meine Eltern gemeinsam hatten: Wenn er etwas erreichen wollte, dann kannte er kein Zurück. Auf solchen Reisen konnte man Pferde mit ihm stehlen.
Ernst Josef Fittkau war neben seiner Lehrtätigkeit auch Direktor der Zoologischen Staatssammlung in München. Und so kam es, dass uns einige Monate später von dort ein kleines Forscherteam in unserer Abgeschiedenheit besuchte. Aber abgesehen davon und von dem Überraschungsüberfall einer englischen Journalistengruppe, die einfach bei uns auftauchte, eine Woche blieb und mich mit ihren Fragen nervte, war es das ganze Jahr über sehr ruhig. Und ich genoss den Kontakt zu den Einheimischen, am meisten natürlich zu Moros Familie. Ich nahm im Laufe der Zeit sogar den Singsang des Urwaldspanischen an, ohne es zu merken, sodass ich an der Küste deswegen aufgezogen und manchmal »Charapita« genannt wurde, eine liebevolle umgangssprachliche Bezeichnung für kleine amazonische Ureinwohnermädchen.
All diese Erfahrungen und Erlebnisse möchte ich nicht missen. Manchmal denke ich sogar mit einer gewissen Wehmut an jene Monate, die bis heute zu den schönsten meines Lebens zählen.
Und tatsächlich entwickelte sich meine Ehrfurcht vor dem Lebensraum Regenwald erst damals richtig, während der Studien zu meiner Doktorarbeit. Davor hatte ich alles interessant, neu und wunderschön gefunden, jetzt merkte ich, dass mir der tiefere Zugang zu dieser Welt noch gefehlt hatte. Als Heranwachsende hatte ich gestaunt und alles sehr genossen, und doch war ich damals nur Beobachterin und das »Anhängsel« meiner Eltern gewesen. Ich begleitete sie ständig, blieb selbst aber passiv. Erst während der Doktorarbeit war ich mit ganzer Seele und Kraft bei der Erforschung der Natur rund um Panguana dabei. Hier fand ich Zeit, über den Regenwald und seine Struktur zu reflektieren. Und dann bekam ich nach und nach das eigenartige Gefühl, dieser grüne Kosmos lasse es erst jetzt wirklich zu, dass ich seine Geheimnisse ergründete. Und es ist ja tatsächlich ein Phänomen: Auf den ersten Blick nämlich glaubt man in diesen Wäldern gar nichts zu sehen, das empfinden viele Menschen, wenn sie den Urwald erstmals betreten. Um einen herum gedeiht eine Unmenge grüner Pflanzen, weiter nichts, denn die zahlreichen Tiere haben sich perfekt an ihr Ambiente angepasst. Da gibt es fingernagelgroße Frösche, die auf einem Blatt sitzen, von deren Färbung sie sich so gut wie nicht unterscheiden, und man kann eine ganze Weile auf dieses Blatt schauen, ohne sie überhaupt zu bemerken. Viele Heuschrecken, Wanzen oder Spinnen scheinen mit der Rinde eines Baumes oder mit dem Geäst geradezu zu verschmelzen. Schlangen, die reglos in einem Baumast liegen, können leicht für einen Zweig gehalten werden oder auf dem Boden perfekt im Laub »verschwinden«. Wer den Urwald nicht kennt, der sieht solche Feinheiten einfach nicht. Lässt man sich aber auf diese Welt ein, dann ist es, als würde man nach und nach eine ganz neue Art des Sehens lernen. Es ist, als würde einem ein Schleier von den Augen gezogen, und man stellt fest, dass man umgeben ist von tausendfachem Leben. Diese Fülle kann durchaus überwältigend sein, im wahrsten Sinne des Wortes.
Heute weiß ich, dass auch meine Eltern, ganz besonders meine Mutter, dies intensiv empfanden. Denn auch ich nahm jetzt den Wald mit allen Sinnen auf, die unendliche Vielfalt der Vegetation und Tierwelt und ihrer Anpassungen, das unglaubliche Farbenspiel der Natur, das oft in kleinen Details und Nuancen liegt, die Geräusche, die mich manchmal wie einen Mantel umhüllten und auf die ich mich auch heute immer wieder freue, die Gerüche, das grüngelbe Dämmerlicht, die warme Feuchtigkeit des Waldes. Und dann ist es mir, als würde ich eintauchen in die Energie eines gewaltigen, alles umfassenden Lebewesens, so vertraut mittlerweile, doch immer wieder aufs Neue fremdartig. Und genau dieses ständige Neuentdecken ist es, was wir Wissenschaftler so überaus faszinierend am Lebensraum Tropischer Regenwald finde n –
Weitere Kostenlose Bücher