Als ich vom Himmel fiel
»Ponderosa« auf der anderen Seite des Yuyapichis lebte.
Damals empfand ich Panguana als besonders schön, so schön wie nie zuvor. Es gab viele Tiere, auch Fledermäuse, die man heute nur noch selten sieht. Ich liebte die Mondnächte, in denen ein eigenartiges, elfenbeinfarbenes Licht herrschte, und den herrlichen Sternenhimmel, den man so prachtvoll nur in Gegenden bewundern kann, in denen es kein elektrisches Licht gibt. Besonders beeindruckend ist in Panguana auch heute noch das helle, breite Band der Milchstraße, die wir in Deutschland wegen der städtischen Beleuchtung oft nicht einmal erahnen können.
Bald bewegte ich mich in diesen hellen Mondnächten so sicher wie bei Tage. Und einmal wurde mir das beinahe zum Verhängnis. Ich kam von einem meiner Streifzüge nach Hause und machte die Taschenlampe aus, als ich aus dem Wald trat, so hell empfand ich das Mondlicht. Auf einmal richtete sich etwas vor mir auf. Es war eine Lanzenotter, so nah, dass sie mich hätte beißen können. Ich bin zur Salzsäule erstarrt, und das war instinktiv genau die richtige Reaktion bei einer solchen Konfrontation. Man muss ganz still stehen, dann nimmt die Schlange keine Bewegung mehr wahr. Ich war leichtsinnig gewesen, wir wussten eigentlich, dass sie da war, denn Lanzenottern sind ortstreu, ich habe aber vor lauter Mondenschein nicht mehr daran gedacht. Nun war sie aufgebracht. Als ich mich wieder gefasst hatte, zog ich mich langsam und bedächtig zurück. Da verschwand sie lautlos im Wald.
Das war übrigens nicht meine erste nähere Begegnung mit einer Lanzenotter. Bereits 1969, als ich mit meinen Eltern im Urwald lebte, wäre es beinahe passiert. Ich wollte damals einen Frosch für mein Terrarium fangen. Auf den Knien folgte ich ihm langsam um eine Erdpalme herum, da sah ich auf einmal aus den Augenwinkeln eine Bewegun g – es war eine Lanzenotter, etwa 1 5 Zentimeter von meiner Nase entfernt. Sie züngelte bereits angriffslustig und hätte mich fast ins Gesicht gebissen. Das hätte tödlich ausgehen können.
Natürlich ist das Leben in Panguan a – und damals noch mehr als heut e – ein Leben mit großen Einschränkungen. Wir wuschen unsere Wäsche von Hand am Fluss, was besonders in der Regenzeit ziemlich schwierig war. Dann blieb alles feucht und klamm, die Wäsche begann zu schimmeln, und Manfred und ich bekamen Pilzinfektionen zwischen den Zehen, weil wir in dem völlig durchweichten und überschwemmten Wald fast immer Gummistiefel tragen mussten. Der Yuyapichis führte oft Hochwasser und wurde kalt und schlammig. Da fiel das tägliche Bad oft schwer oder auch manchmal ganz aus. Und siehe da, es ging trotzdem.
In Yuyapichis waren Manfred und ich bald mit allen bekannt und fühlten uns wie zuhause. Geburtstage wurden im Urwald immer groß gefeiert, und wir waren meistens dabei. In Yuyapichis und den Nachbardörfern gab es dann eine Pachamanca, was immer eine festliche Angelegenheit ist. Das Wort »Pachamanca« kommt aus dem Quetschua und heißt übersetzt so viel wie »Erd-Topf-Speise«. Man gräbt ein Loch, bedeckt den Grund mit über dem Feuer erhitzten Steinen, schichtet darauf verschiedene Sorten mariniertes Fleisch, Kräuter und Gemüse und dazwischen Bananenblätter und schließt die Grube wieder. Je nach Größe der Pachamanca braucht es dann eine bis zwei Stunden, bis das Ganze gar ist und unter der Anteilnahme aller Beteiligten geöffnet wird. Moro war ein großer Pachamanquero und beherrschte das Garen im Erdloch perfekt. Daher wurde er immer wieder darum gebeten, bei großen Festivitäten eine Pachamanca zuzubereiten. Als mein Geburtstag nahte, beschlossen wir, ihn im Dorf Yanayaquillo bei Moros Schwiegereltern zu feiern. Moro und seine beiden Familien bereiteten mir ein rauschendes Fest mit einer riesigen Pachamanca und Tanz bis fünf Uhr morgens, zu dem die Menschen nicht nur aus Yuyapichis und Yanayaquillo, sondern der ganzen Umgebung kamen und über 10 0 Kästen Bier leerten. Einer der Piloten der Buschflugzeug-Linie schaute ebenfalls vorbei und brachte weiteren Biernachschub mit. Da traditionell das Geburtstagskind für Speis und Trank aufkommt, riss dies ein tiefes Loch in meine Studentenkasse, aber das scherte mich nicht. Alle waren glücklich und ich besonders.
Seit jener Zeit gehöre ich bei den Módenas mit zur Familie. Von ihnen allen erfuhr und erlernte ich eine Menge über die Bewohner des Urwalds und wie sie leben. Ich war ja bereits mit ihm vertraut und hatte immerhin elf Tage lang
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