Als ich vom Himmel fiel
ja schließlich auch nicht, falls etwas schiefgehen sollte. Ich erzählte ihr besser nicht, was mir passiert war.
Warum mich das damals alles mehr amüsierte als beängstigte, während mir heute das Fliegen durchaus nicht gar so leichtfäll t – ich habe keine Ahnung. Vielleicht ist man in seinen Zwanzigern einfach sorgloser als in späteren Jahren. Jedenfalls stellte ich mich in dieser so intensiven Zeit im peruanischen Urwald ganz auf das Leben dort ein. Auch wenn ich als Kind bereits die spanische Sprache erlernt hatte, so perfektionierte ich sie erst jetzt, ja ich träumte sogar auf Spanisch. Meine Liebe zu Peru und dem Regenwald, die immer schon bestanden hatte, gewann hier an Tiefe und Fülle. Früher war ich in Panguana immer nur mit meinen Eltern zusammen gewesen. Unsere Kleinfamilie bildete eine perfekte Einheit, und der Kontakt zur Nachbarschaft war zwar äußerst freundschaftlich, aber doch sporadisch geblieben. Außerdem war ich damals ja erst 1 4 Jahre alt gewesen und hatte meine Umwelt mit den Augen einer Heranwachsenden gesehen. Was unsere Küche anbelangte, war sie recht einfach und längst nicht so abwechslungsreich, wie ich sie nun bei Doña Lida erlernte.
Wenn in der Nachbarschaft geschlachtet wurde, waren Manfred und ich immer dabei und halfen mit, und ich lernte schnell, wie man die Tiere zerlegt und verwertet und welche Köstlichkeiten nach peruanischer Art man aus den verschiedenen Teilen von Schwein und Kalb, aber auch aus Huhn, Ente und den Fischen des Flusses zaubern konnte. Es gab auch viel Wild und einheimische Früchte von Palmen und verschiedenen Bäumen des Waldes, und Doña Lida bereitete uns hin und wieder sogar die großen Ochsenfrösche, Schildkröten oder Käferengerlinge nach Art der Ureinwohner zu. Hier lernte ich, wie man Kaimanschwänze, Gürteltier und Opossum kocht oder räuchert, und ich staunte, dass man selbst die Beuteltiere am Ende tatsächlich essen kann, obwohl sie so fürchterlich stinken. Von ihr und Moro erfuhr ich außerdem einiges darüber, welche natürliche Medizin der Urwald liefert, welche Baumsäfte man wofür gebrauchen kann. Da gibt es zum Beispiel Lianen, die man anschneidet, wenn man Zahnweh hat, denn sie enthalten Nelkenöl, ein blutrotes Baumharz, das Wunden heilt, und vieles mehr. Ich habe mich auf diese Weise an die Landessitten gewöhnt und alles probiert, was ich sonst niemals gegessen hätte. Natürlich würde ich heute viele jener Gerichte aus naturschützerischen Gründen strikt ablehnen, doch damals war alles faszinierend für mich, ich wollte so leben wie die Nachbarn auch, und oft war ich einfach nur neugierig. Moros Mutter wies mich nicht nur in die Küche der Indianer ein, sondern auch in die der Deutschstämmigen aus den Bergwäldern von Pozuzo, von wo sie herkam. Da gab es zum Beispiel einen Strudel aus Bananen und Rosinen, eine »Sopa de Knédales«, eine Knödelsuppe mit Maniok, Mais und allen möglichen anderen Zutaten. Solche Gerichte wurden aber nur zubereitet, wenn die Schwestern von Moro aus Lima zu Besuch kamen, dann kochte Doña Lida noch aufwändiger als sonst. Ganz besondere Tage waren natürlich Weihnachten und Ostern und auch der Johannistag, San Juán, am 24.Juni, denn die Sonnenwende hat ihre eigene Tradition im Urwald. Da bereitet jede Hausfrau, die etwas auf sich hält, »Juanes« zu, das sind kleine Beutelchen aus Bananenblättern mit einer Mischung aus Gelbwurzelreis mit geschmorten Hühnerstückchen, schwarzen Oliven und hart gekochten Eiern. Ein typisches Urwaldgericht, das man an der Küste nicht einmal kennt. In Deutschland musste ich mich später erst wieder an den Elektroherd gewöhnen, denn ich fand das Kochen auf dem Holzofenherd oder auf einer offenen Flamme viel einfacher.
Ich erinnere mich gut, wie mich mein Doktorvater, Professor Fittkau, in Begleitung zweier deutscher Kollegen in Panguana besuchte. Das war natürlich sehr aufregend für mich, aber auch enorm wichtig, weil ich inzwischen festgestellt hatte, dass ich mit dem vielfältigen Material, das ich zusammentrug, nicht nur eine Doktorarbeit füllen, sondern mein ganzes Leben verbringen könnte. Er half mir nicht nur, mein Thema sinnvoll einzugrenzen, sondern machte sich auch beim Feuermachen enorm nützlich, denn das Holz war mitunter feucht und schwer zum Brennen zu bringen. Hier erwies sich Professor Fittkau als ein Mensch mit außergewöhnlichem Durchhaltevermögen. Mitten im beißenden Rauch stehend fächelte er klaglos mit einem Topfdeckel der
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