Als ich vom Himmel fiel
derjenigen der Quebrada Raya, dem »Rochenbach«.
So kommt es, dass bereits in aller Frühe des nächsten Morgens der Pilot Robert Wenninger von der Missions-Hilfsorganisation »Alas de Esperanza« gemeinsam mit Marcio Rivera und Amado Pereira sein Flugzeug besteigt und sich von den beiden Waldläufern den Weg weisen lässt. Sie überfliegen die Mündung, folgen der Quebrada Raya und sichten bereits gegen zehn Uhr vormittags als Erste ein größeres Wrackteil aus dem Rumpf der LANSA-Maschine.
Als ich an diesem Morgen erwache, habe ich von all dem natürlich keine Ahnung. Alles erscheint mir so unwirklich. Ich liege in einem ziemlich großen, himmlisch bequemen Bett. Dann erinnere ich mich: Ich bin zuhause, ich bin in die Welt der Lebenden zurückgekehrt. Dennoch schwebe ich in einem Zustand, den ich nicht beschreiben kan n – auch heute, nach so vielen Jahren, fällt es mir schwer. Es ist wie nach einer ganz dringenden Terminsache, für die man zur Hochform aufläuft, und danach fällt man in eine Leere. Man fühlt weder Ärger noch die Freude über das Erreichte. Man fühlt einfach nichts.
In dieser Art Schwebezustand befinde ich mich, da tritt mein Vater durch die Tür. Er kommt einfach herein und fragt: »Na, wie geht es dir denn?«
Ich sage: »Gut.«
Und dann nehmen wir uns in die Arme. Keiner von uns beiden weint. Ich freue mich so sehr, ihn zu sehen. Aber es ist mehr ein Wissen, kein Fühlen. In mir ist kein Raum für große Emotionen. Ich bin einfach nur erleichtert. Für das, was ich erlebt habe, gibt es in dem Moment keine Worte. Für das, was noch aussteht, auch nicht. Und für das, was ich empfinde, schon gar nicht. Denn im Augenblick bin ich von meinen eigenen Gefühlen wie abgeschnitten.
Mein Vater setzt sich zu mir ans Bett, und wir sehen uns nur an, schweigend. Er war noch nie ein Mann der großen Worte. Und mir ist es lieber so.
Später werde ich mir Gedanken machen über diese Gefühlsleere, werde mich fragen, ob wohl etwas nicht in Ordnung ist mit mir, ob ich womöglich gefühlskalt bin. Diese innere Teilnahmslosigkeit wird mir mitunter Angst machen. Doch heute, 4 0 Jahre später, weiß ich, dass dies ein Schutzmechanismus war, den ich damals entwickelte. Während meines Gangs durch den Urwald war er überlebensnotwendig, und als ich gerettet war, konnte ich ihn nicht einfach so wieder abschalten, meine Psyche war auf Autopilot eingestellt, innerlich ging ich nach wie vor durch den Regenwald, meine Seele war noch nicht in der Zivilisation angekommen. Vielleicht ist sie das bis heute nicht vollständig.
Aber mein Körper, der begreift sehr wohl, dass er in Sicherheit ist, und er lässt auf einmal los. Von einer Stunde auf die andere bekomme ich sehr hohes Fieber, das einige Tage anhält und dann genauso plötzlich wieder verschwindet. Die Ärzte sind ratlos.
Außerdem schwillt mein linkes Knie dick an. Keiner weiß, warum. Einige Monate später wird man feststellen, dass ich mir beim Absturz einen Kreuzbandriss zugezogen habe. »Und damit wollen Sie noch elf Tage durch den Urwald gelaufen sein?«, wird mich der Orthopäde konsterniert fragen. »Medizinisch ist das eigentlich völlig unmöglich!«
Ist es nicht unglaublich, wie mein Körper die natürliche Reaktion auf diese Verletzung so lange unterdrücken konnte, bis ich gerettet war? Weder hatte ich Schmerzen während meiner elftägigen Wanderung noch eine Schwellung. Hätte ich mich allerdings vom Unfallort nicht fortbewegen können, ich hätte nicht überlebt.
Ständig sind Menschen um mich, dauernd ist etwas los. Über der Siedlung kommen und gehen die kleinen Flugzeuge der Linguisten, die sich an der Suchaktion beteiligen. Als mein Vater endlich das Schweigen bricht, fragt er nach meiner Mutter. Wie enttäuscht ist er, als ich ihm so wenig berichten kann! In einem Telegramm an seine Schwester schreibt er: »Leider können wir nichts über Maria sagen. Juliane hat sie nach dem Unglück nicht mehr gesehen.« Und auch für mich ist es unbegreiflich, wie sie, die eben noch an meiner Seite saß, von einem Moment zum anderen so vollständig aus meinem Leben verschwinden konnte.
An jenem ersten Tag nach meiner Ankunft in Yarinacocha besucht mich auch der Comandante der FAP, Manuel del Carpio, und fragt mich höflich nach Auskünften. Ich erzähle, was ich weiß. Danach bittet er mich, über den Hergang des Absturzes gegenüber Presseleuten nichts Detailliertes zu berichten, bis alles genau aufgeklärt sein wird. Ich hielt mich an seine
Weitere Kostenlose Bücher