Als ich vom Himmel fiel
Vorwürfe macht, auch von der Presse und anderen Angehörigen wird er scharf angegriffen. Ich allerdings bekomme von all dem überhaupt nichts mit. Lediglich, dass nun viel mehr los ist ums Haus und unsere Gastgeber, seit der Polizeischutz aufgehoben wurde, alle Hände voll zu tun haben, um mich abzuschirmen. Von nun an belagert eine ganze Horde Journalisten die Siedlung der Linguisten.
Da teilt mir mein Vater mit, dass er sich entschlossen habe, mit dem »Stern« einen Exklusiv-Vertrag abzuschließen. »Die sind seriös«, sagt er, »und dann haben wir unsere Ruhe vor den anderen.«
Zwei Herren würden kommen und mit mir Gespräche führen, ob ich mich schon kräftig genug dazu fühle?
Ich nicke. Ich bin mit allem einverstanden, was mein Vater beschließt. Er wird wissen, was er tut, und ich nehme das alles einfach so hin.
Und so wird der nächste Tag, es ist der 7 . Januar 1972, zum Besuchstag: Nicht nur Gerd Heidemann und Hero Buss vom »Stern« kommen an und stellen sich mir vor, auch der britische Journalist Nicholas Asheshov, der meinen Vater vor Jahren auf einer Expedition begleitete, findet Gnade vor seinen Augen. Er berichtet für die »Peruvian Times« und die ebenfalls peruanische Zeitung »La Prensa«. Mit den »Stern«-Journalisten werde ich von nun an täglich Gespräche führen.
In seinem Brief an die Schwester schreibt mein Vater am 8 . Januar: »Was da sonst noch war [er meint Journalisten], habe ich ›weggejagt‹ … ich habe die beiden vom Stern für heute Vormittag bestellt; Juliane soll ihnen dann alles im Detail schildern, was sie weiß.«
Mein Vater ist bei den Gesprächen mit Gerd Heidemann und Hero Buss immer dabei, und ich bin froh darüber. Jeden Tag klopfen sie an meine Tür und bleiben eine, höchstens zwei Stunden. Zunächst erscheint ein kurzer Vorbericht, dann vier ausführliche Reportagen mit großen Bildstrecken. Kein Wunder komme ich nicht so recht dazu, mich wirklich auszuruhen. Zumal sich auch noch anderer Besuch aus Lima ansagt.
Die Tochter meines Patenonkels reist an und auch meine ehemalige Englischlehrerin, die sofort mit mir beten möchte. Das ist mir dann aber doch zu viel. Durchaus gläubig, ziehe ich es vor, allein zu beten, und das sage ich ihr dann auch. Außerdem kommen noch alte Freunde meiner Eltern, Hannelore und Heinrich Maulhardt, die an der Laguna Yarinacocha das hübsche Bungalowhotel »La Cabaña« besitzen und meinen Vater beherbergen, sowie der Direktor des Naturhistorischen Museums in Lima, ein befreundeter Arzt samt Krankenschwester und viele andere. Viele meiner Freundinnen schreiben mir und schicken mir Süßigkeiten.
Inzwischen kämpfen sich die verschiedenen, nun mehr oder weniger reibungslos zusammenarbeitenden Rettungstruppen aus Zivilisten und Militärs weiter durch den Dschungel. Bereits am Vormittag des 7 . Januars erreichen sie die ersten Flugzeugtrümmer. Sechs Sunden braucht es, bi s – hauptsächlich durch den unermüdlichen Einsatz der Angehörige n – ein Landeplatz freigelegt ist. Gegen 1 7 Uhr landet der erste Hubschrauber der FAP.
In wenigen Hundert Metern Entfernung findet man die Bordküche der LANSA, den intakten Flugzeugschwanz und den völlig zerstörten Gepäckraum, dessen Inhalt weit über das Gelände verstreut wurde.
Außerdem landet an diesem Tag in Puerto Inca unter dem großen Jubel der einheimischen Kinder ein Wasserflugzeug. Hier wird die Basis für die gesamte Operation errichtet, und die kleine Urwaldsiedlung erlebt einen Boom, wie sie ihn vorher nur einmal hatte: Auch damals war ein Flugzeug abgestürzt, jedoch nicht über dem Tieflandregenwald, sondern im Sira-Gebirg e – es wurde nie gefunden. Nun herrscht wieder großer Trubel im Städtchen, sofort sind die wenigen Hotels, die ihre Preise auf der Stelle erhöhen, bis unters Dach ausgebucht. Die Restaurants werden geradezu überrannt, und bald stellt sich heraus, dass nicht genügend Lebensmittel vorhanden sin d – auf die Verköstigung von solchen Menschenmassen ist man in Puerto Inca nicht eingestellt. Auch in Pucallpa ist kein Hotelzimmer mehr zu bekommen, und die Flüge aus Lima sind auf Tage hinaus ausgebucht.
Am nächsten Tag, dem 8 . Januar, werden an der Absturzstelle weitere Trümmer gefunden und die ersten 2 0 Leichen. Man berichtet von grausigen Funden und entsetzlichen Bildern, die man nie wieder vergessen kann. Die meisten Leichen sind zerstückelt oder grässlich entstellt, in der Presse zieht man den Vergleich zu Dantes »Inferno«. Der
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