Als ich vom Himmel fiel
eingeflogene, von den Behörden bestellte Leichenbeschauer wird laut Presseberichten auf der Stelle »krank«, als er die Unglücksstelle und die Überreste der Leichen sieht, und gibt so schnell wie möglich seine Arbeit ab. Offenbar hängen über einen Durchmesser von rund vier Kilometern Geschenke, Gepäckstücke oder deren Inhalt, Kleider, Schuhe, Weihnachtsstollen in ihrer Verpackung, aber auch Teile von Leichen in den Urwaldbäumen ringsumher. Über allem schwebt ein schrecklicher Verwesungsgeruch, in den Ästen sitzen Geier, die von der Suchmannschaft offenbar gestört wurden.
Der eilig eingeflogene Untersuchungsrichter, der nun auch als Leichenbeschauer fungiert, schaut sich die Absturzstelle 1 5 Minuten lang an, dann ordnet er die Bergung der Leichen an und fliegt wieder ab. Kein Wunder, dass die wirkliche Ursache, die zum Absturz führte, nie ermittelt wurde.
Als erste Tote werden der Pilot und ein 14-jähriges Mädchen identifiziert. Pilot Carlos Forno muss aus seinem Cockpit herausgehämmert und -gesägt werden und ist nur noch an seinem Platz in der Maschine, seiner Uniform und den Papieren erkennbar. Bei dem Mädchen handelt es sich um die traurigen Überreste von Elisabeth Ribeiro, die von ihrem eigenen Vater anhand ihres Schmuckes, den er ihr selbst geschenkt hat, identifiziert werden kann. Er besteht darauf, das, was von seiner Tochter übrig blieb, selbst in einem der bereitgestellten schwarzen Plastiksäcke in den Hubschrauber zu tragen, der die Leichen zunächst nach Puerto Inca bringt. Von dort werden sie nach Pucallpa in die extra dafür eingerichtete Leichenschauhalle an der Carretera Central geflogen, wo man die Toten in einer leer stehenden Fabrikhalle zur Identifizierung aufbahrt. Auch hier lockt der Verwesungsgeruch bald die Geier an.
Immer wieder regnet es in Strömen. Die Zivilisten, die sich bei der Bergung unter Aufbietung all ihrer Kräfte engagieren, beklagen sich darüber, dass ihnen von den Behörden nicht die richtigen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die verteilten Handschuhe und schwarzen Plastiksäcke seien denkbar ungeeignet und erschweren die oft mühevolle Bergung von Leichen, die in Schluchten gestürzt sind oder an steilen Abhängen liegen. So wird die ohnehin schon extrem problematische Arbeit zur Qual.
Und ich? Werde von all dem abgeschirmt. Möchte am liebsten meine Ruhe haben. Aber da sind die Gespräche mit den Journalisten vom »Stern«, die täglich kommen. Meine Besucher, die meinen, mich aufheitern zu müssen. Mein Vater fährt täglich nach Pucallpa; wie ich später erfahre, wartet er Tag für Tag an der provisorischen Leichenhalle. Er wartet auf meine Mutter. Doch kein Fund lässt auf ihren Leichnam schließen.
Wenn er nicht in Pucallpa ist, dann sitzt er meist still in einer Ecke meines Zimmers. Einmal, nachdem die Kinder der Missionsstation, die mich treu täglich besuchen, gegangen sind, sehe ich ihn an, wie er dort sitzt, völlig in sich versunken.
»Was ist mit dir?«, frage ich ihn.
Da blickt er auf, als kehre er aus einer anderen Welt zurück.
»Ach nichts«, antwortet er und zwingt sich zu einem Lächeln, das nicht recht gelingt. »Ich habe nur eben ein bisschen um deine Mutter getrauert.«
12 Grüße aus dem Diesseits und Jenseits
Kapitelanfang
Während der folgenden Tage, Wochen, ja Monate wird mir Post gebracht, Berge von Briefen, täglich sind es mehr. Aus aller Welt kommen sie, und ich bin überwältigt und gerührt, mitunter auch befremdet von den Zeilen, die mir wildfremde Menschen glauben schreiben zu müssen. Vor allem aus den USA, aus Kanada, Australien, Deutschland, Frankreich, England, Polen, Italien, Schweden, Argentinien und natürlich aus Peru. Aber auch Menschen aus Burundi, Neuseeland, Französisch-Guyana, Uruguay, Kuba, Costa Rica haben mir etwas zu sagen. Die Anschriften auf den Briefumschlägen sind oft kurios, manchmal bestehen sie nur aus den Worten »Juliane Koepck e – Peru«, doch alles kommt an. Das Alter der Briefschreiber variiert zwischen neun und 8 0 Jahren. Darunter sind viele Kinder, Jugendliche und Mütter, die meist liebevoll an meinem Schicksal Anteil nehmen und offenbar einfach nur das Bedürfnis haben, mir zu schreiben, um mir zu sagen, dass ich nicht allein bin. So wie eine sympathische Frau aus Australien, die schreibt: »Ich bin niemand Besonderes, einfach eine Familienmutte r …« Weltweit denken in diesen Tagen viele Menschen an mich und wünschen mir das Beste.
Viele wollen mir mitteilen, wie
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