Als ich vom Himmel fiel
Bitte. Eine offizielle Stellungnahme zu der Absturzursache sollte allerdings nie erfolgen.
Über Pucallpa fällt an diesem Tag ein »wahrer Regen « – um die lokale Zeitung »Impetu« zu zitiere n – an Journalisten her. Sie verwandeln die kleine Stadt in ein Chaos, und alle sind sie auf der Suche nach mir. Zum Glück gibt der Comandante die Meldung heraus, ich befände mich in dem berühmten »Hospital Amazónico Albert Schweitzer« bei Dr . Theodor Binder, der in Peru nicht minder bekannt ist. Nicht nur die Journalisten, auch viele Einheimische belagern daraufhin das Krankenhaus. Alle wollen mich sehen.
Trotz der falschen Fährte beordert Comandante del Carpio eine Polizeiwache vor das Haus, in dem ich mich aufhalte. Auch das Absturzgebiet wird gesperrt und ist nur für die Polizei und das Militär zugänglich. Dennoch macht sich auch wieder eine Gruppe aus zehn Zivilisten und Angehörigen auf den Weg, aufs Äußerste motiviert durch meine glückliche Rettung und die Lokalisierung der Unglücksstelle. Unter ihnen ist Marcio Rivera, der mit seinen guten Ortskenntnissen als Führer fungiert.
Noch am selben Tag springt der Pilot Clyde Peters, jener Adventist, der meinem Vater am Silvestertag 1971 so viel Hoffnung brachte, mit dem Fallschirm über der Absturzstelle ab. Sein Plan ist, eine Lichtung in den Urwald zu schlagen, damit Hubschrauber dort sicher landen können. Das würde die Bergungsarbeiten gewaltig erleichtern. Gleichzeitig bricht eine offizielle Abordnung aus drei Mitgliedern der Guardia Civil und sechs Militärs, darunter ein Funker und zwei Sanitäter, vom Río Súngaro bei Puerto Inca, ganze 2 0 Kilometer vom Trümmerfeld entfernt, zu Fuß auf. Währenddessen misslingt Clyde Peters’ heroischer Versuch. Nicht nur verliert er seine Ausrüstung, vor allem die an seinem Bein festgebundene Motorsäge, er verletzt sich auch noch bei der Landung. Ohne Funkgerät von der Hubschrauberbesatzung abgeschnitten, folgt er dem Fluggeräusch, weil er denkt, es führe ihn zu der Absturzstelle. Dies ist aber nicht der Fall, und statt zum Retter wird er selbst zum Vermissten. Es soll drei Tage dauern, bis Clyde Peters wieder auftaucht.
Auch die Militärabordnung hat nicht viel Glück. Für die 2 0 Kilometer braucht sie zwei Tage. Es stellt sich als äußerst beschwerlich heraus, sich einen Weg durch diesen Teil des Regenwalds zu schlagen, denn das Gelände ist extrem hügelig und durch den ständigen Regen vollkommen verschlammt. Als der Anführer sich bei einem Sturz auch noch verletzt, wird das Vorankommen noch schwieriger.
Am Nachmittag des nächsten Tages, es ist inzwischen der 6 . Januar, folgen einige Zivilisten Clyde Peters’ Beispiel. Allerdings springen sie nicht mit dem Fallschirm ab, sondern lassen sich, mit Motorsägen ausgerüstet, von Hubschraubern über der Unfallstelle abseilen. Am selben Abend treffen sowohl die Militärabordnung als auch die Patrouille der Zivilisten dort ein und beschließen, gemeinsam vorzugehen. Auf diese Weise sind es nun insgesamt 2 0 Mann, darunter zwei Zeitungsredakteure, die sich der Absturzstelle nähern.
Währenddessen gehen mit meinem ansonsten so beherrschten Vater die Nerven durch: Er fängt mit dem Comandante einen Riesenkrach an und beschuldigt ihn, nicht genügend für die Rettung von etwaigen Überlebenden zu tun. Seiner Meinung nach kommen die Bergungsmannschaften viel zu langsam voran, viel Kraft und kostbare Zeit würden durch überflüssiges Kompetenzgerangel verloren gehen. In einem Brief an seine Schwester und seine Mutter, den ich erst vor Kurzem im Nachlass meiner Tante fand, schreibt er zwei Tage später:
»Leider wird von peruanischer Seite hier nicht alles getan, was getan werden kann. Wäre Juliane nicht gekommen und hätte gesagt, wo das Flugzeug zu suchen ist, so würde man wohl schon alles aufgegeben haben. Ich hatte vorgestern eine sehr heftige Auseinandersetzung mit dem obersten Leitenden der Suchaktion, Comandante del Carpio. Das nordamerikanische Spezialflugzeug ist viel zu spät angefordert worden; die urwalderfahrenen Linguisten und Adventisten (alles keine Peruaner) werden nicht ausreichend herangeholt bzw. zugelassen. Man hätte schon längst etwa 30 bis 5 0 Urwaldindianer der Linguisten anfordern können etc. Der ›Señor Comandante‹ erklärte, dass er den Polizeischutz für meine Tochter aufheben würde. Die Polizisten, die uns bewachen, stehen nun nicht mehr vor dem Haus.«
Mein Vater ist nicht der Einzige, der del Carpio
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