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Als ich vom Himmel fiel

Als ich vom Himmel fiel

Titel: Als ich vom Himmel fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliane Koepcke
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besonders ansprechen. Aus manchen wird sogar eine Brieffreundschaft, so mit einem Schüler aus Schweden und einer Dame aus Polen.
    Manche Briefe allerdings brauchen keine Briefmarke und müssen keinen weiten Weg zurücklegen, um zu mir zu gelangen, denn sie kommen von direkt nebenan. Auch die Gemeinschaft der Missionare, die mich so liebevoll aufgenommen hat und umsorgt, hat Angehörige verloren. Umso dankbarer bin ich, mich bei ihnen erholen zu dürfen. In der Tiefe meines Herzens fühle ich mich schuldig, überlebt zu haben, während alle anderen sterben mussten. »Warum«, fragt mich mein Vater einmal in einer besonders schweren Stunde, »habt ihr bloß diesen LANSA-Flug nehmen müssen!«
    … obwohl ich euch doch ausdrücklich davor gewarnt hatte. Auch wenn er das Letzte nicht ausspricht, weiß ich, dass er es denkt. Ich weiß auch, dass ich diejenige bin, die Schuld daran hat, dass wir nicht am Tag zuvor den Flug mit der sicheren Fluglinie Faucett nahmen, wie meine Mutter es gerne gehabt hätte, nur weil ich so kindisch war und unbedingt an der Schulabschlussfeier teilnehmen wollte. Ich fühle mich schuldig, und es tut mir unendlich leid. Es tut mir leid, dass ich damals nicht auf dieses Schulereignis verzichtet habe, dass ich überlebt habe und sie nicht. Es tut mir leid, dass so viele Familien in Trauer aufgelöst sind, nur ich sitze hier in meinem Bett, und es geht mir schon wieder so gut.
    Ich finde für all das keine Worte, ja es ist mir nicht einmal bewusst. Dass es jedem Überlebendem einer Katastrophe so ergeht, das erfahre ich erst viel später.

13 Schreckliche Gewisshei t – quälende Ungewissheit

Kapitelanfang
    Während mich das Fieber mit Schüttelfrost schwächt, Tag für Tag der halbe Meter Gaze in meine Armwunde gestopft wird, während ich in meinen Kokon gehüllt noch immer kaum fassen kann, was geschehen ist, im Schlaf meine ersten Alpträume durchlebe und mir noch keinen Reim auf sie machen kann, während mein Vater in meinem Zimmer sitzt und hin und wieder leise geht und wieder komm t – während all dieser Tage werden immer mehr Leichen geborgen. Täglich spreche ich mit den Journalisten vom »Stern«, und die peruanischen Kollegen regen sich schrecklich auf, als die ersten Bilder von mir in den ausländischen Zeitschriften »Life«, »Paris Match« und »Stern« erscheinen, während der Comandante del Carpio der einheimischen Presse, wohl um mich zu schützen, jeden Kontakt zu mir untersagt. Am 9 . Januar trifft eine Delegation der Firma Lockheed ein. Die Teilnehmer besuchen die Absturzstelle, jedoch wird man auch von ihnen keine neuen Erkenntnisse über die Gründe des Unglücks erfahren.
    Am 11 . Januar ziehe ich von der Familie Lindholm ins Haus der Holstons um. Einen Tag später findet eine Trauerfeier statt für den 13-jährigen Nathan Lyon und für Dave Ericson, 1 8 Jahre. Was ich nicht weiß und erst Jahre später erfahren werde: Es sind die beiden Jungen, die vor uns in der Warteschlange standen, damals, an jenem Morgen des 24 . Dezember 1971, als noch keiner von uns ahnte, was wenige Stunden später passieren sollte. An diesem Tag wird die Bergung der Leichen offiziell eingestellt.
    Auch an diesem 12 . Januar fährt mein Vater nach Pucallpa. Als er am Nachmittag wiederkommt, ist er ernst und sehr bleich, aber gefasst.
    Er sagt, er habe meine Mutter identifiziert. Ganz ruhig erzählt er mir, er habe sich mit einem Journalisten geprügelt, der seine Kamera in den Zinksarg halten wollte, um die Überreste meiner Mutter zu fotografieren, ja er habe diesem Kerl sogar die Kamera aus der Hand geschlagen. Ich bin entsetzt. So etwas tut mein Vater sonst nie.
    Er erzählt weiter, er sei sich nicht hundertprozentig sicher, ob es sich bei der Frauenleiche um meine Mutter gehandelt habe. Denn außer dem Unterkiefer fehlte der Kopf. Er habe allerdings den Fuß der Leiche genauer angeschaut. Meine Mutter hatte sehr charakteristische Füße. Ihre zweiten Zehen waren sehr viel länger als die großen und die kleinen Zehen stark gekrümmt, mein Vater hatte meine Mutter deshalb früher öfters geneckt. Und bei dieser Leiche war das auch der Fall. Mein Vater fragt mich, ob ich mich erinnern könne, welche Schuhe meine Mutter am Unfalltag getragen habe, und als ich ihre flachen Lederschuhe mit der aufgesetzten Steppnaht beschreibe, die sie vor einigen Jahren von einer Europareise mitgebracht hat, da nickt mein Vater unmerklich und schaut zu Boden. Ein solcher Schuh hat sich bei der Leiche

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