Als ich vom Himmel fiel
Freunde und Kollegen geben meiner Mutter die letzte Ehre. Am Morgen darauf wird ihr Sarg mit einer Maschine der Lufthansa nach Frankfurt überführt und von dort mit einer anderen nach München. Am 21 . Januar setzt man, was man für die Überreste meiner Mutter hält, in Aufkirchen am Starnberger See bei, wo auch schon ihr Vater beerdigt war.
Warum in Deutschland? Warum nicht in Peru? Ich kann die Antwort nur erahnen, denn mein Vater sprach nicht mit mir über seine Gründe. Ich wusste, dass meine Eltern vorhatten, in einigen Jahren nach Deutschland zurückzukehren. Wie genau mein Vater sich in diesen Tagen und Wochen mit seinem eigenen Ableben beschäftigte, das zeigt mir ein anderer Brief an meine Tante Cordula, in dem er detailliert darlegt, wie er das Grab gestaltet haben möchte, das auch schon einen Platz für ihn selbst vorsieht. Meine Tante fand es offenbar angebracht, in ihrem Antwortbrief zu schreiben: »Bitte bedenke auch bei allen Entscheidungen, dass Du Dich für Juliane erhalten musst. Wenn sie schon keine Mutter mehr hat, braucht sie den Vater doppelt.«
In diesen Tagen geht meinem Vater vieles durch den Kopf, und es sind keine schönen Gedanken. Einmal äußert er mir gegenüber, dass er es nicht für ausgeschlossen hält, dass meine Mutter selbst dann noch gelebt haben könnte, als man sie fand. »Aber warum ist sie dann tot?«, frage ich ihn konsterniert.
Eine Weile spricht er nicht. Dann sagt er: »Vielleicht hat man sie ja umgebracht?«
Eine schreckliche, für mich unfassbare Antwort. Warum sollte das jemand getan haben?
Tatsache ist, dass meinem Vater der Gedanke keine Ruhe lässt. Er will wissen, ob es sich bei der Leiche um die seiner Frau handelt oder nicht. Außerdem will er wissen, wann und woran meine Mutter starb. Er bittet seine Schwester Cordula, in München eine Obduktion zu veranlassen, was diese auch tut. Doch das Ergebnis lässt auf sich warten.
Im Februar, rund vier Wochen nach der Beerdigung, wird sich Gerd Heidemann vom »Stern« auf Bitten meines Vaters darum kümmern. Heidemann schaltet sogar die Staatsanwaltschaft ein. Das Ergebnis wird für meinen Vater mehr als niederschmetternd sein: Es wurde nicht nur versäumt, eindeutig zu klären, ob die Überreste tatsächlich auf Maria Koepcke schließen lassen. Zu seinem Entsetzen erfährt er, dass statt des einbalsamierten und noch gut erhaltenen Körpers lediglich einzelne Knochen in München ankamen.
Wie kann das sein? Eine befriedigende Antwort darauf wurde nie gefunden. Wurde der Sarg aus Versehen vertauscht? Aber warum befand sich dann Maria Koepckes Unterkiefer, der einzige Teil der Leiche, der anhand von Kieferabdrücken ihres Zahnarztes eindeutig identifiziert werden konnte, in dem Sarg? Beide Ärzte, sowohl jener in Lima, der die Einbalsamierung vornahm, als auch der in München, der die Obduktion durchführte beziehungsweise durchführen sollte, geben an, dass es unmöglich sei, dass sich der Leichnam innerhalb dieser wenigen Tage so vollständig aufgelöst haben könnte. Wollte da jemand etwas vertuschen? Mein Vater neigt dazu, dies zu vermuten. Aber was denn bloß vertuschen? Es ist ein Rätsel, das niemals gelöst werden wird.
Mein Vater tut in den folgenden Wochen alles, um eine Exhumierung zu veranlassen. Er sendet eine eidesstattliche Erklärung nach Hamburg, in der er akribisch schildert, was er am 12 . Januar 1972 in Pucallpa sah, und stellt seine Beobachtungen seinen Erfahrungen mit im Urwald ausgelegten Wirbeltieren gegenüber. Auch eine beglaubigte Erklärung des Arztes in Lima, der als Letzter den Leichnam vor seiner Überführung sah, fügt er bei. Meine Tante übersetzt sie ins Deutsche. Doch außer der Notiz im »Stern« am 23 . Februar 1972 verläuft die Sache im Sande. Die Meldung lautet:
»Falsche Leiche
Der Flugzeugabsturz in Peru, den nur die 17jährige Juliane Koepcke nach einem elftägigen Marsch durch den Urwald überlebte, hat ein mysteriöses Nachspiel gefunden. Julianes Vater hatte die Leiche seiner Frau 1 5 Tage nach dem Absturz ›erstaunlich heil‹ gesehen, Konservierungsmittel in den Sarg gießen und die Leiche zur Untersuchung nach München schicken lassen. Dort kamen aber nur Skelett-Teile an, von denen noch nicht einmal festgestellt werden kann, ob sie zu einem Mann oder einer Frau gehörten. Unter ihnen fand sich allerdings der Unterkiefer von Frau Dr . Koepcke. Jetzt kann nicht mehr ermittelt werden, ob die Vogelkundlerin den Flugzeugabsturz überlebt hatte und erst später
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