Als ich vom Himmel fiel
Juliane! Zum Weihnachtsfest wünsche ich Dir sehr viel Gutes, und gleichzeitig wünsche ich Dir auch viel, viel Glück für das neue Jahr 1973. Seit dem vergangenen Jahr hat ja das Weihnachtsfest für uns ein besonderes Gesicht bekommen. Für Dich wird es immer das Fest sein, an dem Dir das Leben neu geschenkt wurde. Für mich ist es von jetzt ab ein trauriges Fest, dem noch eine traurigere Zeit folgt, nämlich bis zu Mamis wirklichem Todestag, der auf den 6. oder 7.Januar anzusetzen ist.«
Den harschen Brief, in dem er mir verbietet, nach Panguana zu kommen, schrieb er am 30.Dezember 1972 an meine Tante, und der Absturz hatte sich gerade erst gejährt. Das erste Weihnachten ohne meine Mutter lag hinter ihm, und ich wage nicht, mir vorzustellen, wie es in ihm ausgesehen haben mochte.
»Nun, Vecina«, bricht Moro das Schweigen und reißt mich aus meinen Gedanken, »bist du denn überhaupt nicht müde?«
»Doch«, sage ich, »das war ein langer Tag. Ich bin nur so froh, wieder hier zu sein.«
»Und wir erst! Willkommen zurück in Panguana!«
Mit den Taschenlampen suchen wir unseren Weg zum Zähneputzen ins Duschhäuschen und in unsere Betten. Sie sind hart, aber das stört uns nicht. Ich weiß schon jetzt, ich werde tief und fest schlafen.
16 »Miracles still happen«
Kapitelanfang
Einige Tage später ist es an der Zeit, nach Puerto Inca zu fahren und im dortigen Rathaus die Sache mit den Grundbucheintragungen zu klären. Früh am Morgen bringt uns Moro zusammen mit seinem Gehilfen Chano in der Canoa bis zur Furt, damit wir ein Stück Weges sparen.
Zu meiner Freude flattern am Ufer große Vögel auf, es sind Zigeunerhühner, eine ganze Kolonie.
Bei der Módena-Farm treffen wir Don Elvio, Moros Onkel, der uns herzlich begrüßt und gerne bereit ist, uns in seinem Boot nach dem Dorf Yuyapichis überzusetzen. Dort finden wir bald einen Wagen, der uns zu dem Ort Súngaro am gleichnamigen Fluss fährt. Und dann werden wir schon weitersehen.
Habe ich mich einmal auf dieses Urwaldleben eingestellt, auf seine Regeln und Gebräuche, dann genieße ich es in vollen Zügen. Irgendwie kommt man schon ans Ziel, auch wenn es keine öffentlichen Verkehrsmittel mit genauem Abfahrtsplan gibt. Zwischen den einzelnen, weit verstreuten Urwaldortschaften sind immer Fahrer unterwegs, in der Regel findet man auf diese Weise rasch eine Mitfahrgelegenheit, wenn man Pech hat, wartet man ein paar Stunden. So ist das eben, kein Grund zur Aufregun g – trotzdem für einen Europäer gewöhnungsbedürftig. Aber je eher man sich auf diesen Rhythmus einlässt, desto besser. Denn alles Schimpfen und Klagen nützt nichts, sondern verdirbt einem nur die Laune.
Der Weg zum Súngaro ist nicht lehmig, dafür aber von faustgroßen Kieselsteinen übersät. Schlaglöcher gibt es natürlich auch, und unser Fahrer hat es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, so schnell wie nur möglich über diese kollernde Piste zu rasen, die eher an eine Murmelbahn für Riesenkinder erinnert als an eine Straße. Das ist eine Herausforderung für die Federung des Fahrzeugs, aber auch für unsere Bandscheiben und Gesäßpolster. Als wir im Dörfchen Súngaro ankommen, sind wir alle ein bisschen benommen und ziemlich durchgerüttelt. Von hier dauert es nur noch eine halbe Stunde bis nach Puerto Inca. Ein Kombi, der für europäische Verhältnisse eigentlich schon voll besetzt ist, lässt auch uns noch einsteigen. Man rückt einfach zusammen, mein Mann und ich teilen uns den Beifahrersitz, und so schafft es der Fahrer, in einen normalen PKW, zugelassen für vier Personen, die doppelte Anzahl Passagiere hineinzuquetschen. Ein besonders unerschrockener setzt sich gar in den offenen Kofferraum, ganz nach dem Motto: »Besser schlecht gefahren, als gut zu Fuß unterwegs.«
Jedes Mal, wenn wir am Ufer des Río Pachitea ankommen und ich auf der anderen Seite des Flusses Puerto Inca liegen sehe, dann erinnere ich mich an die vielen Male, die ich hier mit meiner Mutter Station machte. Mit diesem Städtchen, das ja nur 2 0 Kilometer von der Absturzstelle entfernt liegt, verbindet mich aber vor allem die Geschichte meines Unfalls. Denn wenn man mich auch in ganz Peru als »die Juliana« kennt, die damals »den LANSA-Absturz überlebte«, so bin ich hier geradezu eine Lokalgröße. Schon die Fährmänner, die am Ufer herumstehen und auf Kundschaft warten, erkennen mich sofort. Der alte Mann, der uns übersetzen »darf«, strahlt über sein ganzes zahnloses Gesicht.
Es ist Mittag
Weitere Kostenlose Bücher