Als ich vom Himmel fiel
Lámpara de Aladino«, »Aladins Wunderlampe « – nach dem Ehemann der Frau, der Aladino hieß. Hier machte meine Mutter oft Station, und einige Male hatte ich sie begleitet. Die Wirtin strahlt über ihr ganzes Gesicht, und natürlich erhalten wir nicht nur ein ausgezeichnetes Mittagessen, sondern sind bald in ein angeregtes Gespräch verwickelt.
Wir sprechen, wie könnte es anders sein, von damals. Als meine Mutter hier übernachtete und angeblich eine Schlange im Gepäck hatt e – was ich für ein weiteres Gerücht halte, aber ich widerspreche der Dame nicht. Natürlich kommen wir bald auf jenen Weihnachtstag, als während eines fürchterlichen Sturms das Flugzeug über den Wäldern kreiste und schließlich verschwand. Einmal mehr höre ich zu, wie fremde Menschen meine Geschichte erzählen, als wäre es die ihre.
Ich muss an den Satz von Werner Herzog denken: »Ihre Geschichte gehört nicht mehr Ihnen allein. Sie gehört der Öffentlichkeit.« Ob ich es will oder nich t – er hat ganz offensichtlich recht.
Damals erwarb der »Stern« nicht nur die Film-, sondern auch die Buchrechte an meiner Geschichte. Um die ganzen Formalitäten kümmerte sich zum Glück meine Tante, die ja »vom Fach« war und der ich völlig vertraute. Es wurde auch tatsächlich ein Buch geschrieben, aber als ich das Manuskript zu lesen bekam, war ich nicht besonders glücklich damit. Darum war es mir gar nicht unrecht, als ich erfuhr, dass sich kein Verlag fand, der das Buch veröffentlichen wollte. Ich hatte schon damals das Gefühl, dass dies eine Sache ist, die man eigentlich selbst machen sollte oder in Zusammenarbeit mit jemandem, dem man vertraut.
Inzwischen haben sich wildfremde Menschen zu uns an den Tisch gesetzt, die mit mir reden, als sei ich eine alte Bekannte. Noch immer ist es für die Menschen hier, wo die Suchaktion so viele Gemüter erregt hatte, so etwas wie ein göttliches Zeichen, dass ich damals als Einzige einfach so vom Himmel fiel und dabei heil blieb.
»Du weißt«, sagt eine Dame, nur wenig älter als ich, »dass du hier in Puerto Inca ein Zuhause hast.«
Ich danke ihr. Und denke an unser Zuhause in München und daran, wie lange es doch dauerte, bis ich nach meiner erzwungenen Abreise aus Peru ein echtes, eigenes Heim fand.
Mein allererstes Zuhause war das Humboldt-Haus, und als es das nicht mehr gab, Panguana. Ist es nicht merkwürdig, dass ein paar Indianerhütten ohne Wände ein Zuhause sein konnten? Aber dann wird mir klar, dass es auf den Ort nicht ankommt: Zuhause war für mich, wo meine Eltern waren. Aber dann auf einmal war meine Mutter tot, und mein Vater wollte mich, zumindest vorübergehend, nicht mehr um sich haben und fand tausend Gründe, um mich fernzuhalten.
Statt nach Panguana fuhr ich also in jenen Sommerferien 1973 zu meiner anderen Großmutter, der Mutter meiner Mutter, nach Sibichhausen am Starnberger See. Und hier lernte ich nach und nach die Großfamilie meiner Mutter kennen. Für mich als Einzelkind war das etwas ganz Besonderes.
Meine Großmutter war ein liebenswerter, fröhlicher und äußerst geselliger Mensch. Sie hatte gerne Leute um sich, und solange ihr Mann, ein angesehener Gynäkologe, noch lebte, war ihr Haus das Zentrum vieler geselliger Runden gewesen. Im Alter freute es sie ungemein, wenn im Sommer so viele Verwandte und Freunde wie nur möglich das Haus mit Leben erfüllten. Sie hatte eine Rauhaardackelhündin, Anka, die leider kurze Zeit nachdem ich sie kennenlernte, starb. Aber meine Tante Hilde, eine Schwester meiner Mutter, die Schauspielerin in Düsseldorf war, hatte ebenfalls einen Hund, der Amor hieß, und mit ihm machte ich gerne die Umgebung unsicher.
Das war auch etwas, was mir in Deutschland fehlte, dass ich nämlich so wenig an die frische Luft kam. In Peru, vor allem im Urwald, war ich ständig draußen gewesen, unsere Häuser hatten ja nicht einmal Wände, alles fand unter freiem Himmel statt, und hier in Deutschland saß ich immer drinnen. Da ich so viel für die Schule tun musste, hatte ich auch wenig Hobbys, trieb keinen Sport und bekam wenig Bewegung. Daher genoss ich es, mit Amor zu einem der Moorseen zu gehen oder durch herrliche Schluchten zum Starnberger See zu wandern, Pilze oder Blaubeeren zu sammeln oder auf dem Reiterhof, der gleich hinter dem Haus war, ein wenig zuzuschauen. Einmal fanden wir besonders schöne Steinpilze, und da wurde meine Großmutter ganz still. Abends brachte sie mir ein gerahmtes Bild. Es war ein hübsches Aquarell von
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