Als ich vom Himmel fiel
einem Steinpilz.
»Hier«, sagte sie, »das schenke ich dir. Denn das hat deine Mutter gemacht, damals, ehe sie deinem Vater nach Peru folgte. Wir waren Pilze sammeln, gerade so wie du heute. Und abends sagte Maria: ›Mutti, diesen hier, den darfst du noch nicht zerschneiden, den muss ich erst noch zeichnen!‹«
Meine Großmutter hatte Tränen in den Augen und wandte sich schnell ab. Ich betrachtete die Studie. Sie war wirklich besonders gut gelungen. Ein paar Tage nach meiner Ankunft hatten wir das Grab besucht. Aber erst jetzt, angesichts dieser Zeichnung, begriff ich, wie sehr auch meine Großmutter unter dem Tod meiner Mutter litt.
»Dein Großvater war überhaupt nicht begeistert davon, sie ganz alleine auf diese weite Reise zu lassen. Aber Maria sagte: ›Diesem Mann folge ich überallhin. Wenn es sein muss, bis ans Ende der Welt.‹«
Meine Großmutter schwieg. In ihren Gedanken war sie weit weg, das konnte ich fühlen.
»Bis ans Ende der Wel t …«, wiederholte sie leise. Dann gab sie sich einen Ruck. Sie sah mich an, lächelte.
»Eigentlich hätte ich es gern gehabt, dass du hier bei mir wohnst«, fuhr sie fort. »Aber ich hab eingesehen, dass du es in Kiel viel einfacher hast. Von hier aus ist es ja eine Weltreise zum nächsten Gymnasium.«
Da kam meine Tante Hilde ins Zimmer und fragte fröhlich, ob wir nicht zusammen ein Pilzgericht kochen und Großmutters Freundin von nebenan dazu einladen wollten. Und damit war der Zauber dieses Augenblicks gebrochen.
Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass ich nach Sibichhausen fuhr, ich war gerne mit meiner Großmutter zusammen und genoss die herrlichen Wochen im Voralpenland. Bei Geburtstagsfesten oder anderen Gelegenheiten lernte ich nun auch meine elf Cousins und Cousinen kennen. Auch die Familie eines Onkels meines Vaters, die in Hannover und später in Lahr lebte, besuchte ich mit Vergnügen.
Ich fand es wunderbar, so viele Verwandte zu haben, und alle nahmen mich herzlich in ihrer Runde auf. Es gab für mich so viel Neues zu erleben und entdecken, und ich verschob meine Pläne, Panguana wiederzusehen, auf später.
So verging die Zeit. Am Tag lernte ich fleißig für mein Abitur und unternahm hin und wieder etwas mit meinen neuen Schulfreundinnen. Und in der Nacht träumte ich, ich sause mit irrsinniger Geschwindigkeit, wie mit einem Motor ausgestattet, in einem dunklen Raum immer an der Wand entlang. Oder von einem tiefen, brausenden Geräusch, und ich weiß, es sind die Turbinen und wir stürzen ins Bodenlose. Lange Zeit gehörten diese Träume zu mir wie die Narben, die ich von dem Absturz zurückbehalten habe. Oft plagen mich Kopfschmerzen, doch ich nehme es hin, was will ich mich beklagen, schließlich sind alle anderen tot, da werde ich doch das bisschen Kopfweh ertragen können. Zu meinem Geburtstag schickte mein Vater präparierte Regenwaldschmetterlinge. Ein anderes Mal schenkte er mir eine Fotokamera, eine Minolta, und ich freute mich riesig darüber. Wir schrieben uns, und beide beendeten wir die meisten unserer Briefe mit der Bitte: »Schreib mir bald wieder!«
Die beiden Jahre bis zu meinem Abitur vergingen schnell. Ich bestand es mit gutem Ergebnis. Mein Vater konnte stolz auf mich sein. Und als Belohnung kam er selbst. Zwei Jahre und sechs Tage nach meiner Abreise aus Peru sah ich meinen Vater wiede r …
Es ist Zeit, unser Glück erneut auf den Behörden zu versuchen. Wir werden wortreich verabschiedet, und nachdem wir ein letztes Mal in die verschiedenen Fotokameras gelächelt haben, dürfen wir weiterziehen.
Und siehe da, wir haben Glück, wir können alle unsere Anliegen erledigen. Selbst den Nachbarn, der seine Rinder auf einem der neuen Grundstücke weiden lässt, treffen wir in seinem Gemischtwarenladen an. Moro und er klären die Frage, und dann können wir uns auf den Heimweg machen.
An diesem Abend schaffen wir es nicht vor Einbruch der Dunkelheit zurück ins Dorf Yuyapichis. Unter einem Himmel, der so aussieht, als müsse man nur die Hand ausstrecken, um nach den Sternen zu greifen, setzen wir über den Río Pachitea über. Auf der anderen Seite unterhalb der Módena-Farm wartet der treue Chano auf uns. Ist es die Müdigkeit oder der erfolgreich verlaufene Tag, sind es die vielen Erinnerungen oder die Wärme der freundlichen Mensche n – an diesem Abend fühle ich mich fast schwerelos, als ich hinter Moro über die Weide schreite. Die vielen Male, die ich in der Vergangenheit diesen Pfad entlangging, verschmelzen mit
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