Als ich vom Himmel fiel
begleiten. Mein Abitur in der Tasche, voller Vorfreude und mit einer Riesenportion Reiselust im Herzen, brach ich also am 5 . August 1974 gemeinsam mit meinem Vater auf. Wir flogen über Frankfurt, Bombay und Singapur nach Sydney. Von hier ging es nach Canberr a – natürlich nicht, ohne vorher ein paar Exkursionen an den marinen Sandstrand und in die Umgebung von Sydney zu machen. Vor allem besuchten wir, wie an allen Orten, die wir bereisten, den Zoologischen und den Botanischen Garten.
Canberra war für mich ein eindrucksvolles Erlebnis, und nicht nur wegen des Kongresses, bei dem ich begeistert Veranstaltungen besuchte und viele ausländische Kollegen meiner Mutter kennenlernte, sondern auch wegen der spannenden, architektonisch interessanten Stadt und der herrlichen Umgebung. Mein Vater hielt auf dem Kongress einen Vortrag über die Vogelstimmen des peruanischen Regenwalds. Auch sonst war diese ganze Reise kein Urlaub für ihn, sondern diente einem genauen Plan für seine Forschungsarbeiten. Darum fuhren wir später weiter die Ostküste entlang Richtung Norden, ließen uns zum Beispiel auf Hinchinbrook Island, einer dem Ort Cardwell vorgelagerten, bewaldeten und unbewohnten Insel, absetzen, wo wir fünf Tage lang zelteten und Vogelstimmen aufnahmen. Denn mein Vater hatte das damals topmoderne, aber heute natürlich extrem altmodische und sperrige Tonbandgerät Nagra III samt Reflektor in seinem Gepäck, das ihm einst von der Thyssen-Stiftung zur Verfügung gestellt worden war und mit dem er und meine Mutter auch in Peru ihr Vogelstimmenarchiv angelegt hatten. Nur so, fand mein Vater, mit demselben Gerät aufgenommen, ließen sich die Aufnahmen wirklich vergleichen. Denn genau das wollte er: Systematisch suchten wir im Nordosten Australiens, in Neuguinea und auf verschiedenen Inseln von Hawaii Regenwälder auf, die gewisse Ähnlichkeiten mit dem von Panguana hatten, um Parallelen in der Vogelstimmenwelt zu finden oder auszuschließen. Mein Vater, der ja immer schon das große Ganze im Auge hatte, wollte nicht Gefahr laufen, als Wissenschaftler ausschließlich auf Panguana und die dort anzutreffende Form des Regenwalds festgelegt zu werden.
Hinchinbrook Island ist mir in denkwürdiger Erinnerung geblieben, denn der freundliche Herr aus Cardwell, der unsere Ausrüstung und Verpflegung für den Inselaufenthalt zusammenstellte, vergaß das Besteck. So schnitzten wir uns mit unseren Taschenmessern aus dem Bast der zahlreichen herumliegenden Kokosnüsse primitive Löffel. Mein Vater war eben schon immer ein Meister im Improvisieren. Außerdem setzte ich mich gleich am ersten Tag auf meine Brille und zerbrach ein Glas. Zu allem Überfluss regnete es in Strömen, unser Zelt war nicht dicht, und die Mücken liebten uns.
Insgesamt verbrachten wir einen Monat in Australien, reisten weiter nach Neuguinea, sammelten dort vier Wochen lang unermüdlich Vogelstimmen und andere Daten, bis es über die Fidschi-Inseln weiterging nach Hawaii. Weil wir die Zeitgrenze von West nach Ost überschritten, erlebten wir diesen Reisetag gleich zweimal.
Hier, auf der wunderschönen Insel Kauai, verbrachte ich meinen 20 . Geburtstag. Mein Vater überraschte mich mit einem liebevoll arrangierten Gabentisch, dekoriert mit Blüten und Kerzen. Er muss sich nachts, als ich schon schlief, aus unserem gemeinsamen Zimmer geschlichen haben, um das alles zu besorgen. Es wurde ein ganz besonderer Geburtstag, den ich nie vergessen werde. Mit einem Taxi fuhren wir rund um die Insel, um uns einen Überblick zu verschaffen, und durchwanderten dann ein subtropisches Waldgebiet. Es war schön, zu zweit unterwegs zu sein, wir hatten dieselben Interessen, und vielleicht fühlte sich mein Vater in diesen Wochen ein bisschen so wie früher, als er mit meiner Mutter unterwegs gewesen war.
Diese so intensiv gemeinsam verlebte Zeit brachte uns einander wieder nahe. Auf einer Reise zeigt es sich, ob man miteinander auskommt oder nicht, und wir verstanden uns prächtig.
Als wir Mitte Oktober in Frankfurt landeten, stand ich wieder einmal vor einem neuen Lebensabschnitt, meinem Studium. Obwohl ich im Jahr zuvor noch geschwankt hatte, ob ich statt Biologie nicht vielleicht doch Germanistik und Kunst studieren sollte, hatte ich mich dazu entschlossen, bei dem zu bleiben, was bereits von Kindesbeinen an mein Wunsch gewesen war: dass ich Zoologin werden würde, so wie meine Eltern. Mein Vater war sehr glücklich darüber. Er hoffte, dass ich seine Arbeit und die
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