Als ich vom Himmel fiel
noch nie zuvor ein Europäer durchgekommen war. Es waren nur Frauen im Dorf, die Männer arbeiteten auf den Feldern. Und diese Frauen hielten meine Eltern für Pishtacos. Das sind nach dem Volksglauben übernatürliche, böse Geister, die in Menschengestalt daherkommen, blonde Haare haben und einen Rucksack auf dem Rücken tragen. Sie kommen, um die Menschen bei Nacht heimlich zu töten und ihnen das Körperfett abzusaugen. Jene Frauen in dem einsamen Dorf dachten voller Angst, meine Eltern seien solche Wesen. Sie ließen sich nichts anmerken und baten die unwillkommenen Gäste in das Schulhaus, wo sie sie einschlossen. Als abends die Männer heimkamen, erschienen sie mit Hacken und Macheten, um meine Eltern zu töten.
Zum Glück gab es in dem Dorf aber auch eine Lehrerin, die in Lima studiert hatte und sehr wohl wusste, dass meine Eltern keinesfalls Pishtacos waren und auch sonst nichts Böses im Schilde führten. Mit Müh und Not konnte sie die Bewohner davon überzeugen, dass man sie am Leben ließ. Sie durften im Schulhaus übernachten und am nächsten Morgen unter den argwöhnischen Augen der Menschen das Dorf schleunigst wieder verlassen.
Es ist noch nicht lange her, da gestand mir Moro, dass manche der Leute in der Umgebung von Panguana bis vor Kurzem noch glaubten, wir und unsere Forschergäste seien auch Pishtacos. Um diesem Irrglauben ein für alle Mal ein Ende zu bereiten, schlug er mir vor, eine Sendung für den lokalen Radiosender »La Voz del Pachitea« zu gestalten, in der wir genau erklären sollten, was Panguana ist, und welche Ziele wir verfolgen. Ich verfasste also einen Text, der im Radio über mehrere Wochen immer wieder verlesen wurde, und das brachte sehr viel Verständnis für unsere Sache. Inzwischen wissen in der Umgebung alle sehr gut Bescheid über unsere Arbeit, und Moro, der in jungen Jahren ebenfalls skeptisch gewesen war und den Wald mehr als Lieferant von Ressourcen sah, ist heute der beste Anwalt für die Erhaltung des Regenwalds. Aus den umliegenden Dörfern kommen regelmäßig Schulklassen zu Besuch, die Moro mit ansteckender Begeisterung durch den Wald führt, wo er Kindern wie Erwachsenen die Besonderheiten der Flora und Fauna erklär t – und wie wichtig es für sie und ihr Land ist, sie zu erhalten.
Als ich im November 1980 nach Kiel zurückkehrte, empfing mich eine traurige Nachricht: Meine Großmutter, bei der ich gemeinsam mit meiner Tante so lange gelebt hatte, war gestorben. Wir beerdigten sie einen Tag nach meiner Rückkehr.
Es dauerte nicht lange, und ich plante bereits einen weiteren, diesmal mehr als ein Jahr währenden Aufenthalt in Panguana. Ich brauchte nur noch ein geeignetes Thema für meine Doktorarbeit, eines, das es mir erlauben würde, wieder nach Panguana zurückzukehren, und das so spannend war, dass ich Freude daran haben würde, mich einige Jahre meines Lebens damit zu beschäftigen.
Und da kam mein Vater mit einem Vorschlag, der mich völlig überrascht e …
18 Die geheime Seele des Waldes
Kapitelanfang
»Was?«, fragte ich entrüstet, »Fledermäuse? Das ist nicht dein Ernst!«
Über Säugetiere oder Vögel wollte ich schon immer arbeiten, doch auf keinen Fall über Fledermäuse, denn diese Nachtgeister fand ich ziemlich hässlich. Was an ihnen sollte reizvoll sein?
»Unterschätze mir die Fledermäuse nicht«, gab mein Vater zurück und schmunzelte ein wenig. »Das sind faszinierende Tiere, möglicherweise sogar die interessantesten Säugetiere überhaupt. Und in Panguana gibt es sie in Hülle und Fülle.«
Ich verdrehte die Augen. Zu gut konnte ich mich an die Fledermäuse in Panguana erinnern. Mich schauderte, wenn ich allein an die Vampirfledermäuse dachte, die an den Rindern nachts Blut tranken. Sogar mich hatte eine mal während des Schlafens in die große Zehe gebissen, und ich hatte das gar nicht lustig gefunden.
»Na ja«, räumte mein Vater ein, »sie gehören sicher nicht zu den niedlichsten Tieren. Aber bedenke doch: Du wärst die Erste, die in Panguana über sie eine Arbeit schreibt. Und was für eine spannende Lebensform das doch ist: Sie sind Säugetiere und fliegen, sie sind nachtaktiv und orientieren sich per Echoortung, und ihre Verhaltensmuster und Ökologie sind auch etwas ganz Besonderes. Denk doch einfach darüber nach.«
Das tat ich. Und je länger ich darüber nachdachte, desto überzeugender fand ich die Argumente meines Vaters. Besonders die Vielfalt ihrer Ernährungsweisen und ihrer Schlafplatzwahl war im
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