Als ich vom Himmel fiel
amazonischen Peru noch überhaupt nicht erforscht, schon gar nicht in Panguana. Dafür konnte man sie im Vergleich zu anderen Säugetieren relativ leicht mit Netzen fangen oder an ihren Schlafplätzen beobachten.
Also betrat ich Neuland und habe es nie bereut. Es gab nur wenige Arbeiten, die ich zum Vergleich heranziehen konnte, und die stammten aus weit entfernten Gebieten der Nachbarländer Perus. Wer aber in Deutschland konnte eine solche Doktorarbeit adäquat betreuen?
Es gab in München einen Professor, einen Südamerikaspezialisten, der mir von allen Seiten empfohlen wurde: Prof. Ernst Josef Fittkau. Also fuhr ich hin und stellte ihm mein Arbeitsvorhaben vor, und er nahm mich als Doktorandin an. Die nächsten Jahre meines Lebens waren nun vorgezeichnet: Ich würde für mindestens ein Jahr nach Panguana gehen und mich den nächtlichen Flattergeistern widmen, danach in München meine Dissertation schreiben.
So kam es, dass ich fast neun Jahre nach meiner Ankunft in Kiel meine Zelte bei der Tante abbrach, meine Sachen in Kisten verpackte und vorläufig unterstellte. Denn nach meiner Rückkehr aus Peru wollte ich direkt nach München umziehen. Als ich im August 1981 im Flugzeug nach Lima saß, fühlte ich eine große Aufbruchstimmung. Abitur und Studium hatte ich abgeschlossen. Jetzt würde ich promovieren, und danach war ich frei, zu entscheiden, was ich aus meinem Leben machen und wo ich leben wollte.
Die ersten Wochen in Panguana hatte ich übrigens Gesellschaft. Michael, damals Assistent an der Universität in Kiel, forschte über Minierfliegen und reiste bereits einen Monat früher nach Peru, um Land und Leute kennenzulernen. Leider gehörte Michael zu den Menschen, die das Unglück offenbar unwiderstehlich anziehen. Während seiner Reise durch Peru wurde er dreimal bestohlen, ein Bus erlitt einen Achsbruch, und während er in einer Indiohütte in den Hochanden übernachtete, wurde er doch tatsächlich von einer Ratte vollgepinkelt. Außerdem bekam er die Ruhr und damit fürchterliche Durchfälle und nahm mindestens 1 5 Kilo ab. Als ich Michael in Lima traf, erkannte ich ihn kaum wieder: Er war schrecklich abgemagert und hatte sich einen Vollbart wachsen lassen. Während ich mit dem Flugzeug nach Yuyapichis flog, fuhr er ein paar Tage vorher mit dem Boot von Pucallpa ab und nahm unser Gepäck und ein Petroleumfass für unseren neuen Kühlschrank mit, bei dessen Anschaffung er mich fast in den Wahnsinn getrieben hätte. Denn es musste absolut dicht sein, was in Peru eine ungeheure Anforderung ist. Doch mit viel Geduld hatte er tatsächlich das »perfekte Fass« gefunden und war sehr glücklic h – und ich natürlich auch.
Vor der Abreise kaufte er außerdem acht riesige Wassermelonen ein. Ich lächelte darüber, weil ich dies für die zwei Tage Bootsfahrt reichlich übertrieben fand. Auf einem solchen Boot war nicht unendlich viel Platz, man musste es sich irgendwie auf der Ladung bequem machen, die aus Kartons, Fässern, Kisten und möglicherweise aus verschiedenen Maschinen bestand, und das war meist ein unbequemes Unterfangen. Zu Essen gab es allerdings nichts. Michaels Boot hatte einen Tag nach der Abfahrt einen Motorschaden, und er durfte mit den anderen Passagieren mehrere Tage am Ufer des Río Pachitea verbringen, bis das Boot wieder flottgemacht werden konnte. Da kamen die Melonen natürlich wie gerufen, und auch seine Mitreisenden profitierten von Michaels Vorsorge.
In Panguana fiel er einmal einen Abhang hinunter, und ein anderes Mal bekam er eine gewaltige Ladung Vogelkot aufs Haupt. Da untersuchte er gerade besonders interessante Fliegen auf einem großen Klecks und bedachte nicht, dass dessen Verursacher in der Nähe war, nämlich direkt über ih m – ein Kahnschnabel, ein großer Reiher. Dies alles war zum Glück nicht weiter schlimm, nur eine lustige Häufung an Missgeschicken, und wir haben viel miteinander gelacht. Michael buk übrigens ein ausgezeichnetes Brot in einem Kochtopf in der Asche unserer Feuerstelle, und er war, wie alle anderen auch, begeistert von der ungeheuren Artenvielfalt in Panguana, besonders auch bei den Halmfliegen, auf die er sich spezialisiert hatte. Leider reiste er bald wieder ab. Und ich widmete mich ganz meinen Fledermäusen. Das hieß, ich musste meinen Rhythmus an den ihren anpassen. Tagsüber suchte ich nach ihren Schlafquartieren, kletterte in hohle Bäume oder unter Uferböschungen, und Nacht für Nacht ging ich in den Wald, um an geeigneten Stellen
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