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Als ich vom Himmel fiel

Als ich vom Himmel fiel

Titel: Als ich vom Himmel fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliane Koepcke
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Zwar unternahm er natürlich weiterhin zahlreiche Exkursionen. Meistens hütete ich dann sein Hamburger Reihenhäuschen. Nach Peru aber fuhr er nie wieder.
    Ich dagegen freute mich schon darauf, wieder dorthin zu dürfen. Bereits im Jahr nach dem Abschluss meiner Diplomarbeit mit dem Titel »Artspezifische Muster der Tarnfärbung aas- und kotfressender Tagschmetterlinge im tropischen Regenwald von Peru« reiste ich mit ein paar Freunden vier Monate lang durch das Land, in dem ich geboren worden war, und erlebte einige Abenteuer. Besonders aufregend gestaltete sich eine Fahrt über die Anden. In einer einsamen Gegend kam uns ein Unimog entgegen. Einer der Insassen hatte sich ein Taschentuch um den Kopf gebunden. Wir hielten an, und da sah ich, dass das Tuch blutgetränkt war. Sie erzählten, dass sie Deutsche seien und in der Nacht überfallen worden waren. Das hatte in der Nähe einer der Kupfer-, Silber- oder Wismut- und Wolfram-Minen stattgefunden, als mitten in der Nacht jemand ans Auto klopfte. Natürlich machten die Reisenden erst mal lieber nicht auf, und da trommelte auch schon eine Maschinengewehrsalve auf den Wagen ein. Eine Kugel traf den Mann und durchschlug glatt den Hals, ohne eine Vene oder die Kehle zerfetzt zu haben, aber das Blut floss dennoch in Strömen. Trotz der Verletzung hechtete der Mann sofort ans Steuer und fuhr unter weiterem Beschuss davon.
    Wer die Angreifer gewesen waren, wir wussten es damals nicht. Erst später, als die terroristische Bewegung um Abimael Guzmán Reynoso, genannt »Sendero Luminoso « – »Leuchtender Pfad « –, mehr um sich griff und Peru für Jahre in ein Land verwandeln sollte, in das man besser nicht mehr reiste, konnte ich diese Begebenheit in einen größeren Zusammenhang stellen. Damals standen wir vor dem Problem, dass wir genau durch dieses Gebiet, in dem der Angriff stattgefunden hatte, erst noch hindurchmussten. Ich kann mich gut erinnern, wie angespannt wir alle waren, denn wir fuhren über Tingo María nach Pucallpa, eine Strecke, die besonders gefährlich war, und kamen dann auch noch in die Nacht. Der Fahrer meinte: »Wenn jetzt das Auto verreckt, dann gnade uns Gott.« Damals wurde dringend davon abgeraten, mit dem Wagen jene unzugänglichen Gegenden zu passieren, schon gar nicht bei Nacht. Zum Glück tat uns unser Gefährt den Gefallen durchzuhalten, und wir kamen glücklich, ohne eine der gefürchteten Begegnungen, über diese gefahrvolle Strecke.
    Es war eine unheilvolle Zeit, damals in Peru. Im Jahr der Wahlen nach dem Ende der Militärdiktatur erklärte Abimael Guzmán 1980 dem Staat den bewaffneten Krieg. Im Frühjahr verbrannten seine Anhänger die Wahlurnen in einem kleinen Dorf in der Nähe von Ayacucho, wo die Bewegung ihren Ausgang hatte. Es folgten Überfälle auf Polizeistationen und Dörfer. Schließlich rief die Regierung Ende 1982 in der Provinz Ayacucho den Ausnahmezustand aus und verlegte Militäreinheiten in das Gebiet. Die Grausamkeiten der Aktionen, die nun folgen sollten, waren selbst in Lateinamerika von bis dahin unbekannter Radikalität. Der Führer der Bewegung, der sich Presidente Gonzalo oder »Das vierte Schwert der Weltrevolution« nennen ließ, verlangte absolute Unterwerfung. Er und seine Anhänger nahmen keinerlei Rücksicht, weder auf die indigenen Traditionen noch auf irgendwelche Eigentums- oder Menschenrechte. Waren die Bauern nicht bereit, die Bewegung zu unterstützen, dann gab es blutige Rachefeldzüge. Auf diese Weise zur Unterstützung gezwungen, hatten die Bauern zudem unter Strafmaßnahmen von Seiten des Militärs zu leiden, ein Kreislauf, der viele Jahre lang anhalten sollte.
    Von all dem erlebten wir auf unserer Reise nur einen entfernten Widerhall, denn die Bewegung breitete sich zunächst nur langsam über das gesamte Land aus, dafür aber stetig. Überfälle hatte es auf abgelegenen Strecken immer schon gegeben, auch meine Eltern hatten während einer Reise in den späten 50er-Jahren, ich war damals gerade mal drei Jahre alt und in der Obhut von Tante und Großmutter in Lima zurückgeblieben, eine fast tödliche Begegnung gehabt. Diese war allerdings nicht politisch bedingt, sondern einem weit verbreiteten Aberglauben der Andenbewohner geschuldet. Meine Eltern waren damals allein mit Rucksäcken in den Anden unterwegs und schlugen ihr Zelt an einsamen Plätzen auf, was in der Regel nie ein Problem darstellte. Bis sie eines Tages in ein Dorf kamen, in dem niemand Spanisch zu sprechen schien und offenbar

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