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Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Titel: Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joern Klare
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endlich mal Geld verdient. Das war ja auch nur ganz wenig. Und dann hab ich nach zwei Jahren meine Prüfung geschafft. «
    »Als Kauffrau?«
    »Als Industriekaufmann … -frau. Ich hab ja so einen Brief. ›Industriekaufmann‹ steht da drin.«
    Mascha wacht auf und fängt an zu brabbeln.

Ein glücklicher Tag
    Meine Mutter sitzt im Sessel auf dem Gang, ihre Beine liegen unter einer leichten Decke auf einem Hocker. Ein friedliches, schönes Bild. Sie freut sich, mich zu sehen.
    – Kannst du dich an Heinz Abels erinnern?
    – Kann sein.
    Meine Mutter ist gestürzt, berichtet eine Pflegerin, sie ist vom Frühstückstisch aufgestanden, ohne Rollator den Gang entlanggelaufen, in ein fremdes Badezimmer hinein. Dort hat sie das Gleichgewicht verloren. Auf dem Boden sitzend, unfähig allein aufzustehen, rief sie um Hilfe. Sie hat sich nicht verletzt. Vielleicht liegt es an den Hüftprotektoren.
    – Wie würdest du deinen Zustand beschreiben?
    – Verdreht.
    – Was ist verdreht?
    – Die Buchstaben.
    – Welche Buchstaben.
    – Das ABC.
    – Kannst du noch das Alphabet?
    – Sicher.
    – Sag mal.
    –  A , B , C , D …
    Sie kommt fehlerlos bis Z , ich bin beeindruckt. Ich will herausfinden, ob ihr Zustand ihr bewusst ist, will aber nicht direkt fragen, ob ihr klar ist, dass sie an Demenz leidet.
    – Was ist mit deinen Erinnerungen?
    – Alles in Ordnung.
    Ich wechsle das Thema.
    – Sollen wir kopfrechnen?
    – Ja.
    – Was ist zwei mal zwei?
    Sie schaut irritiert, kuckt auf den Tisch, scheint etwas zu suchen.
    – Ich glaub, das steht hier vorn.
    – Was?
    – Das Töpfchen mit den Zahlen.
    Ich frage nicht weiter nach.
    – Hallo, mein Jörn.
    Am nächsten Tag begrüßt sie mich auf Anhieb. Sie trägt ein lindgrünes Kleid und eine mit Blumen bestickte Strickjacke. Das steht ihr sehr gut. Im Arm hält sie einen Teddybären, den ich noch nicht kenne. Sie scheint ihn zu mögen. Gut so. Mascha ist bei mir, versteckt sich aber erst mal hinter meinem Rücken.
    – Am liebsten würde ich mit euch abhauen.
    Das habe ich noch nie von ihr gehört. Ich weiß nicht, ob ich über ihre Fluchttendenz erschrecken oder ob ich ihre Bereitschaft zum Abenteuer bewundern soll.
    – Wohin denn abhauen?
    – Ist auch egal.
    Mascha begleitet mich mit gemischten Gefühlen. Mittlerweile ist sie neun Jahre alt und traurig darüber, dass »die Oma nicht mehr die Oma ist«, dass sich meine Mutter immer öfter nicht mehr an sie erinnert und auch nichts mehr von den Ausflügen in ihr gemeinsames Berliner Lieblingscafé weiß.
    Wohl deswegen zögert Mascha ein wenig mit der Begrüßung, geht dann aber auf meine Mutter zu, die sie aus tiefstem Herzen anstrahlt. Sie umarmen sich, lassen sich gar nicht mehr los, schmusen miteinander. Mascha freut sich. Meine Mutter freut sich. Wir machen Quatsch. Ich spiele den Eifersüchtigen und weise darauf hin, dass das doch eigentlich meine Mutter ist und ich verwöhnt werden müsste. Die beiden lehnen das demonstrativ ab. Mascha lacht, und meine Mutter lacht auch. Natürlich weiß sie, wer Mascha ist. Mascha sagt mir, ich könne ja jetzt allein spazieren gehen. Ich bin abgemeldet. Und freue mich.
    Später rechnen wir dann noch ein bisschen das kleine Einmaleins. Meine Mutter scheitert erst bei zwölf mal zwölf. Dann singen wir gemeinsam ein paar Lieder. Irgendwann sagt meine Mutter:
    – Wer es schwer hat, muss es sich leicht machen.
    Es ist ein glücklicher Tag.

»Wir sind, was wir vergessen haben.« Oder: Die Frage nach der Würde der Menschen mit Demenz
Der Philosoph und Psychiater Thomas Fuchs
    » DGPPN « ist die Abkürzung für Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. Ich flaniere über ihren Jahreskongress im Berliner ICC , das auch von innen eher wie ein riesiges Raumschiff denn wie ein Internationales Kongresszentrum wirkt.
    Im Programm mit einigen hundert Veranstaltungen ist auch ein Video-Live-Interview mit dem US -amerikanischen Hirnforscher Eric Kandel angekündigt. Im Jahr 2000 erhielt Kandel den Medizin-Nobelpreis für seine Erkenntnisse über die molekularen Grundlagen von Gedächtnisvorgängen. Ich lernte den 1929 geborenen Kandel durch einen Dokumentarfilm kennen, der ihn als einen kleinen, liebenswürdigen und gewitzten Herrn zeigt, der Sätze sagt wie: »Ohne Gedächtnis wären wir nichts.« Klar, dass mich dieser Mann interessiert.
    Jetzt sitzt er mit seiner riesigen Brille und einer roten Fliege vor einer Schiefermauer seines

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