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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
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Briefkastenschlitze gesteckt wurden, entnehmen konnte, bestätigten allesamt, dass es in der Nähe der Oak Street selbst nicht zu Ausschreitungen kommen werde. Gerüchten zufolge würden sich rund hunderttausend Antifaschisten, Aktivisten des Spanischen Bürgerkriegs und zahlreiche Menschen, die sich den Protesten aus reiner Neugier anschlössen, zu Gegendemonstrationen gegen das Vorgehen der Blackshirts einfinden. Es war geplant, sich in Aldgate, ein paar Meilen vom Haus der Greenfelds entfernt, zu versammeln. Im gesamten East End war auf Bürgersteigen und an Häuserwänden dieselbe mit Kreide geschriebene Bekanntmachung aufgetaucht: »Am 4. Oktober um 13 Uhr alle nach Aldgate!«
    Sonntag früh hatte Sarah ihrer Mutter verkündet, sie fühle sich eingesperrt. Das Baby werde höchstwahrscheinlich erst in einigen Tagen zur Welt kommen, und sonntags gehe sie immer aus. Dieser Sonntag sei wie jeder andere, sie werde also einen Bummel machen.
    Zuerst hatte Rachel darauf beharrt, dass Sarah das Haus unter keinen Umständen verlassen dürfe. »Nur über meine Leiche. In diesem Zustand gehst du mir nicht aus dem Haus, Mädchen«, hatte sie mit vollem Mund gesagt. Sie kaute gerade auf einem hartgekochten Ei. Aber Sarah hatte den Starrsinn ihrer Mutter geerbt und wollte ihre Einwände nicht hören.
    »Wenn du es genau wissen willst, ich gehe zu Gardiner's, um eine Krawatte zu kaufen. Nat soll sie bekommen, wenn er Vater wird«, entgegnete sie. »Du kannst mitkommen oder hierbleiben, ganz wie du willst, Mum.«
    Gardiner's war ein Kaufhaus, das jeder im East End unter dem Namen »Harrods des Ostens« kannte, und für Nats väterliche Krawatte wäre kein anderes Geschäft gut genug.
    »Was wird Nat sagen, wenn dir etwas zustößt, Sarah? Kannst
du mir das verraten?«, fragte Rachel und schenkte sich eine Tasse Tee ein.
    »Nat und Dad brauchen ja nicht zu wissen, wo ich hingehe. Bei Gardiner's hat der Schlussverkauf begonnen und heute Morgen ist zwei Stunden lang geöffnet. Um zehn kann ich dort sein, und kurz nach elf bin ich wieder zu Hause.«
    Rachel nippte an ihrem Tee. Sie konnte ihre Tochter nicht allein losziehen lassen, aber sie merkte, dass sie sie auch nicht davon überzeugen konnte, auf ihren Gang zu verzichten. Normalerweise besaß Rachel einen äußerst gesunden Menschenverstand, aber ihrer Tochter hatte sie noch nie etwas abschlagen können. Sie redete sich ein, ihre Anwesenheit könne selbst an diesem Tag hinreichend Schutz bieten, an dem Sarah als Jüdin, Frau und Schwangere gleich dreifach gefährdet sei.
    Rachel erhob sich und griff nach ihrem Mantel. »Na schön, Mädchen. Wenn wir wieder zurück sein wollen, bevor es Scherereien gibt, müssen wir uns beeilen.«
    Sarah stand auf und umarmte ihre Mutter.
    Was Simon und Nat betraf, so glaubten sie, die beiden Frauen würden nur kurz um die Ecke zum Victoria Park gehen. Jetzt, da die Tage kürzer wurden und die Oktoberwinde schon bald an Schärfe zunehmen würden, planten Mutter und Tochter, einen ungewöhnlich lauen Herbsttag zu nutzen. Dennoch tat Nat sein Bestes, ihnen den Gang zu verbieten. »Sag's ihnen, Simon, es liegt eine bedrohliche Stimmung in der Luft.« Aber die Frauen beachteten ihn gar nicht.
    »Ich rate dir eins, Nat, gib's auf. Schlecht beraten ist der Mann, der sich dem Willen einer entschlossenen Frau widersetzen will«, sagte Simon und wandte sich wieder den Wettseiten der Zeitung zu. Aber Nat gab sich noch nicht geschlagen und warnte Rachel und Sarah, er sei bereit, ihnen den Weg zu versperren, sollten sie das Haus verlassen wollen.
    »Hör zu«, sagte Rachel und streifte sich ihre Handschuhe über, »ich sag's dir offen heraus, Nat, du brauchst dir keine Sor
gen zu machen, dass wir in diesen Marsch hineingeraten. Der ist meilenweit entfernt, außerdem soll er erst am Nachmittag beginnen, frühestens um zwei Uhr. Um Himmels willen, gönn dem Mädchen doch mal eine Abwechslung. Deine Frau wird den Rest ihrer Tage an einen Kinderwagen gefesselt sein. Gott im Himmel, Nat, glaubst du wirklich, dass ich, Rachel, ihre Mutter, noch dazu werdende Großmutter , dulden werde, dass Sarah etwas zustößt?«
    »Dann achtet darauf, dass ihr um zwölf Uhr zurück seid, mehr verlange ich nicht«, sagte Nat seufzend und lächelte über den wohlbekannten Starrsinn seiner Schwiegermutter, die überzeugend die Gekränkte spielte und ihre dickbäuchige Tochter auf die Straße hinausschob.
    Während die Frauen außer Haus waren, saß Simon im Wohnzimmer und hörte

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