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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
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das Gefühl, als habe er der Wiederkunft des Heilands beigewohnt.
    Ein Mann allerdings, der nicht nur eine andere Nationalität, sondern auch eine andere Hautfarbe hatte, stahl den Deutschen bei der Olympiade mit seiner übermenschlichen Leistung die Show. Die Reaktionen darauf verstärkten Julians Entsetzen über das Ausmaß des Rassismus in Hitlers Deutschland. Jesse Owens oder »Ovens«, wie die Deutschen seinen Namen aussprachen,
war ein schwarzer Amerikaner aus Alabama, dessen Gliedmaßen in Blitzesschnelle über den Boden zu schweben schienen. Der Enkel eines Sklaven, dessen Hautfarbe mit der arischen Blässe der deutschen Wettkämpfer kontrastierte, gewann im Laufen und im Weitsprung sensationelle vier Goldmedaillen. Es hieß, Hitler habe seinen Zorn über das Resultat kaschiert, indem er Owens Triumph vor der Presse damit begründete, dass Athleten mit affenähnlichen Gesichtszügen den Triumph ihrer Gliedmaßen ihren auf Bäumen herumturnenden Vorfahren verdankten.
    Julian drückte seine Zigarette so heftig aus, dass May zusammenzuckte. »Du machst dir keine Vorstellung, wie froh ich bin, wieder zu Hause zu sein«, sagte er und ergriff ihre Hand.
    »Und du machst dir keine Vorstellung, wie froh ich bin, dass du zurückgekommen bist«, erwiderte May vorsichtig, als sie ihn einen Finger nach dem anderen streicheln ließ.
    Einen Augenblick lang sahen sie einander an. Beide waren sich nicht sicher, wohin das Gespräch führen würde.
    »Willst du mir nicht auch von dir erzählen? Was ist in Cuckmere passiert?«, fragte er, ließ ihre Hand behutsam los und langte wieder nach seiner Schachtel Zigaretten. »Gibt es Neuigkeiten über Lady Joan? Und wie geht es Florence?«
    »Lady Joan habe ich nicht mehr so oft gesehen, seit sie ins Krankenhaus gebracht wurde. Aber immer, wenn Mrs Cage, die Köchin, Mr Hooch und ich sie besuchen, versuchen wir alles, sie aufzuwecken«, sagte May. »Wir haben ihr Musik vorgespielt, ihr Fotos gezeigt, ihr vorgelesen, ihr vorgesungen, ihr zugeflüstert, sie manchmal, in Momenten der Verzweiflung, sogar angeschrien.«
    »Glaubt denn irgendjemand, dass sie noch einmal zu sich kommen wird?«, fragte Julian. Er wirkte zutiefst betrübt.
    »Der Arzt meint, sie wird noch jahrelang im Koma liegen. Ich hoffe, sie bekommt davon nichts mit, damit sie sich nicht einsam fühlt. Ihre Schwester war zu Besuch, aber sie ist wieder ab
gereist, ohne sie auch nur ein Mal im Krankenhaus besucht zu haben.«
    »Ihre Schwester?«, fragte Julian erstaunt. »Du meinst Myrtle? Die eifrige Leserin der Time and Tide , auch bekannt als The Sapphic Graphic ?«
    May musste lachen. »Ja, woher weißt du das?«
    »Lady Joan hat mir alles über sie erzählt. Der Herausgeberin der Zeitschrift, Lady Rhonda, bin ich einmal begegnet. Sie hatte ihrem Ehemann den Laufpass gegeben, einer strammen jungen Frau zuliebe.«
    »Na ja, vielleicht hat Lady Myrtle sich von Lady Rhonda inspirieren lassen«, sagte May immer noch lachend. »Ich würde sagen, ein strammes Ding ist Vera ganz bestimmt.«
    »Vera? Was hat denn die damit zu tun? Erzähl mir von Florence. Hast du sie nach dem Gürtel fragen können?«, erkundigte sich Julian.
    Er wollte alles hören, genau wie May es sich erhofft hatte. Sie erzählte ihm, wie sie am Tag nach Lady Myrtles Verschwinden vorgeschlagen hatte, Florences Rückkehr aus Pagham mit einem Kuchen zu feiern: einem Kuchen mit Himbeeren aus den Obstgewächshäusern von Cuckmere. Anfangs hatte Florence sehr bedrückt gewirkt, sie schien in derselben sonderbaren Stimmung gefangen wie bei ihrem Aufbruch in die Ferien. Doch nachdem May versprochen hatte, eine Radtour mit ihr zu machen und mit ihr im Fluss zu schwimmen, hatte sie ihre gute Laune allmählich wiedergefunden. Der Gürtel war nirgends zu sehen. Als sie dann Vera bitten wollten, ihnen eines der verschlossenen Gewächshäuser aufzuschließen, hatten sie sie nirgendwo im Garten finden können. Tatsächlich hatte die Gärtnerin schon seit Tagen niemand mehr gesehen, aber sie war ein Freigeist, und die Bewohner von Cuckmere hatten sich daran gewöhnt, dass sie mitunter mir nichts, dir nichts verschwand. Als sie an die offene Haustür ihres Cottage anklopften, antwortete niemand.
    »Ich wollte nicht einfach hineingehen«, erklärte May, »aber Florence bestand darauf, wir wollten ja den Schlüssel haben.«
    »Ich glaube, es gefällt dir, wenn man dich um den kleinen Finger wickelt«, sagte Julian und grinste sie an. Er hatte sich sein weißblondes Haar aus

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