Als Mrs Simpson den König stahl
Juraprüfung konzentrieren kann.«
»Wie bitte? Was hast du eben gesagt?«, fragte ihn May.
»Lottie. Charlotte. Du weißt schon. Als ich aus Berlin abgereist bin, hat sie beschlossen, noch ein bisschen zu bleiben, und Rupert war so freundlich, ihr zu versprechen, sie nach Hause zu bringen. Also bin ich frei und ungebunden. Und ich brauche dringend jemanden, der mit mir ins Kino geht. Könntest du dir vielleicht vorstellen, dieser Jemand zu sein?« Er lächelte, als er May die Frage stellte.
May nickte.
»Oh, gut«, sagte er. »Denn, um ehrlich zu sein, im letzten Monat ist nicht ein Tag vergangen, an dem ich nicht an dich gedacht habe.«
20
Julian wollte wissen, ob May am folgenden Wochenende in Cuckmere bleiben würde. Er wollte Lady Joan besuchen. Wenigstens nannte er das als Grund seines Kommens. Aber May hatte vor, in die Oak Street zurückzukehren, da Sarah schon bald ihr Baby erwartete. Sobald Sir Philip an seinem Schreibtisch saß, sprach sie ihn darauf an, um seine Erlaubnis einzuholen. Seine häufige Abwesenheit während der vergangenen Monate hatte dazu geführt, dass der Geruch nach alten Zigarren nicht mehr ganz so stark ausgeprägt war wie früher. Fast ein Jahr war vergangen, seit May zum ersten Mal in diesem Zimmer gesessen hatte. Ihr Haar war ihr damals ins Gesicht gefallen, als sie bei ihrem Vorstellungsgespräch ängstlich versucht hatte, einen guten Eindruck zu machen. Aber heute war es Sir Philip, der ängstlich wirkte.
»Lady Joan?«, fragte May leise.
»Nein, meine Liebe, ich fürchte, es geht um etwas anderes. Und es betrifft Sie.« Er legte die Fingerspitzen aneinander, sodass seine Hände einen luftigen Käfig bildeten, und beugte sich auf beiden Ellbogen vor. »Die Frau ihres Cousins ist Jüdin, nicht wahr?«
May nickte.
»Ich glaube, Sie sollten wissen, dass der Marsch, den die Blackshirts für nächsten Sonntag planen, möglicherweise zur Cable Street und durch die Straßen von Bethnal Green führt. Und entgegen der Empfehlung der Polizei hat die Regierung sich geweigert, den Marsch zu verbieten. Es wäre mir lieber, wenn Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit hierbleiben würden.«
Noch bevor May zu sprechen begann, konnte Sir Philip sehen, dass sich auf ihrem Gesicht Widerspruch abzeichnete.
»Vielen Dank, Sir, aber ich wäre sehr besorgt, wenn ich nicht zu Hause bei meiner Familie sein könnte. Und die Frau meines
Cousins kann jeden Moment ihr Kind bekommen. Ich glaube, man braucht mich dort.«
»Selbstverständlich. Ihre Antwort überrascht mich nicht«, sagte Sir Philip und betrachtete May voller Zuneigung. »Man wird Ihre beruhigende Anwesenheit zu schätzen wissen. Aber was immer geschieht, ich bitte Sie dringend, das ganze Wochenende über im Haus zu bleiben. Man kann gar nicht überschätzen, wie weit die antisemitischen Ressentiments gehen werden. Ich sage Ihnen im Vertrauen, dass am Sonntag in den Straßen des East End sechstausend Ordnungskräfte sowie die gesamte berittene Polizei zum Einsatz kommen werden. Ich denke, das beweist, dass man sich Sorgen macht und die Sache unangenehm werden könnte.«
Als May in die Oak Street kam, herrschte eher eine Atmosphäre der Entschlossenheit als der Angst. Die Bedrohung, der die Anwohner sich ausgesetzt sahen, lenkte Rachel ab. Sie war nicht länger an Mays romantischen Hoffnungen interessiert und vergaß sogar ihren hartnäckigen Argwohn, May und Sam würden ihr absichtlich spannende Einzelheiten über das Liebesleben des Königs vorenthalten. Wichtiger war die Aussicht auf ein Drama aus dem wirklichen Leben direkt vor ihrer Haustür.
Als Vorsichtsmaßnahme hatte Nat gleich neben der Tür seinen Gummiknüppel platziert. Einige Bewohner hatten sich mit Zwillen und Schlagringen bewaffnet, und eines der vaterlosen Kinder von nebenan hatte Nat stolz ein gefährlich aussehendes, selbstgefertigtes Instrument gezeigt, ein abgebrochenes Stück Gitterrost. Aber diese Waffe war bei Weitem nicht so bedrohlich wie die Erfindung des Friseurs in der Cyprus Street, der eine mit mehreren funkelnagelneuen Rasierklingen gespickte Kartoffel an einen Bindfaden gebunden hatte.
Beim Frühstück hatte Simon aus der Jewish Chronicle vorgelesen: »Juden werden dringend gewarnt, sich von der Marschroute der Blackshirts fernzuhalten.«
Die allgemein akzeptierten Informationen hingegen, die die Organisatoren eines Gegenprotestes verkündeten und die man dem Daily Worker , Nats gebrauchtem Exemplar der Times und den Faltblättern, die durch
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