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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
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Einbuchtung der Taille vorbei bis zur sanften Rundung der Hüften hinabgleiten. Dabei hielt sie die Augen geschlossen. Ihre Hände begegneten statt Fettpolstern oder Wülsten einfach nur einer glatten, geraden Linie. So , dachte sie voller Neid, genau so muss es sich anfühlen . Dass ihre Kleider schlecht saßen, ließ sich nicht länger leugnen, auch wenn dank ihrer Körpergröße, die sie glücklicherweise von ihrem Vater geerbt hatte, die zusätzlichen Pfunde auf eine ausgedehntere Fläche verteilt waren. Dieser Vorteil wäre ihr nicht beschieden gewesen, wenn ihre Statur nach dem winzigen Wuchs ihrer Mutter gekommen wäre. Dennoch, sie musste der Wahrheit ins Auge sehen: Mehrere Kleider, die sie aus Baltimore mitgebracht hatte, würden bald geändert werden müssen. Einfach nur geändert? Du lieber Himmel! Wenn sie ehr
lich war, mussten sie um mehrere Größen ausgelassen werden. Evangeline war sicher, dass Wallis ihr den Namen einer guten englischen Damenschneiderin nennen konnte.
    Evangeline rückte auf ihrem Stuhl unbehaglich hin und her und überlegte, ob sie sich noch ein Würstchen aus der silbernen Schüssel nehmen sollte, die auf der Warmhalteplatte stand. Sie spürte den vertrauten Schauder innerer Abscheu. Gegenüber anderen pflegte sie ihren übermäßigen Genuss von jeher damit schönzureden, dass ihre Kurven Teil ihres Charakters seien: drall, fröhlich, für jeden Spaß zu haben, nicht im Geringsten dünnhäutig, auch wenn man sie gelegentlich neckte. Doch die geheime Wahrheit lautete: Evangeline hatte nur noch geringe Hoffnung, dass ihr Status als vierzigjährige virgo intacta sich jemals ändern würde. Was für einen Unterschied machte da schon diese oder jene Speckfalte auf ihrer einsamen Reise durchs Leben?
    Bisweilen kam sie sich vor wie die fleischgewordene Karikatur einer Jungfer mittleren Alters. Sie wartete noch immer darauf, dass das wirkliche Leben – womit sie ein glückliches Leben meinte – irgendwann beginnen würde. Als sie sich einen Berg Orangenmarmelade, die aus Oxford stammte und somit die beste ihrer Art war, auf den Toast löffelte, rief sie sich in Erinnerung, dass ihr Leben zumindest jetzt, während ihrer Zeit in England, einen Sinn hatte. Ihren Freundinnen, die auf sie angewiesen waren, stets treu ergeben und in Liebesangelegenheiten unverdrossen optimistisch, fragte sie sich des Öfteren, ob sich ihr Glück nicht doch noch wenden würde.
    Sie konnte kaum glauben, dass erst ein paar Tage vergangen waren, seit Wiggle sich in einem Anfall körperlichen Unwohlseins neben ihr auf dem Boden gewunden hatte. Pekinesen waren, genau wie ihre Frauchen, beim Essen oft wählerisch, und die köstlichen Nieren in sämiger Bratensoße, die die Londoner Köchin zubereitet hatte, hatten Wiggles Verdauung schwer zu schaffen gemacht. Es war für sie nicht in Frage gekommen, Wiggle in
Baltimore zurückzulassen. Außerdem, wer sonst hätte mit Evangeline die einsamen Nächte geteilt? Der warme Körper, der stets zu ihren Füßen lag, war die einzige nächtliche Gesellschaft, die sie je gekannt hatte. Zugegeben, was die Quarantänevorschriften betraf, war sie ein Risiko eingegangen und hatte die ganze Zeit über darauf achten müssen, sich mit Wiggle nicht allzu oft an öffentlichen Orten zu zeigen. Bevor sie aus Baltimore aufbrach, hatte sie sich damit beruhigt, dass sein liebes Gekläff wenigstens keinen amerikanischen Akzent verriet. Ihr war ein Stein vom Herzen gefallen, als die Zollbeamten sie am Hafen einfach durchgewinkt hatten. In den Weiten ihres Mantels war genügend Platz gewesen, um einen kleinen Hund ungesehen hindurchzuschmuggeln.
    Einen Augenblick lang überlegte Evangeline, ob sie zusammen mit einem Würstchen eine dritte und endgültig letzte Scheibe Toast zu sich nehmen sollte. Joan hatte den Frühstückstisch bereits verlassen, und weder dieser ermüdende Rupert mit seiner lächerlichen Spitzenkrawatte noch sein bezaubernder junger Freund Julian hatten sich bisher blicken lassen. Sie war allein. Niemand war da, der hätte mitzählen können.
    Sie war entzückt, wenn auch etwas überrascht gewesen, als sie den ersten Brief aus England erhalten hatte. Vor sechs Wochen (obwohl es sich viel länger anfühlte; meine Güte, treibt nicht die Zeit ihre Spielchen mit uns?) war sie noch zu Hause gewesen und hatte ihrer Schwägerin bei den Vorbereitungen für das Weihnachtsfest im Familienkreis geholfen. Der Tod ihrer Mutter und deren testamentarische Verfügungen hatten Evangeline

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