Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
Vom Netzwerk:
seiner Zigarette. »Oh?«, fragte er ermutigend. Während er darauf wartete, dass sie fortfuhr, war sein linkes Auge halb geschlossen, das rechte aber nahm sie ganz in den Blick.
    Philip erstarrte auf seinem weißen Lederstuhl.
    »Sehen Sie, Sir, meine Schwester war Krankenschwester, an der Front stationiert, und sie sah Dinge, die kein Mensch jemals zu Gesicht bekommen sollte. Sie war der gütigste Mensch, den ich kannte.« Joans Stimme hatte sich zu einem Flüstern gesenkt,
und die Gäste mussten sich vorbeugen, um sie zu verstehen. »Sie sah Männer, die ihre Hand, ihren Arm, ihren Fuß, ihr Bein, ihr Kinn, ihre Nase verloren hatten.« Joan zählte die fehlenden Körperteile auf, als spule sie an der Käsetheke von Harrods eine Einkaufsliste herunter.
    Der König drückte seine Zigarette aus. Philip erhob sich, doch ein Blick des Königs veranlasste ihn, sich wieder zu setzen, während Joan ihre Litanei fast mit einer Art Aufschrei beendete. »Und Penisse, Sir«, verkündete sie bestimmt und laut genug, dass alle am Tisch es hören konnten. »Gibt es hier irgendeinen Mann, der beschreiben könnte, wie es sich anfühlt, keinen Penis mehr zu haben? Kennt irgendjemand penislose Körper? Hat irgendjemand schon einmal gesehen , wie ein Penis weggeschossen wurde?«
    Bei jeder Wiederholung dieses Wortes zuckte die versammelte Gesellschaft zusammen, bis Joan, aus deren Gesicht inzwischen alle Farbe gewichen war, außer Atem zu geraten schien, die Augen schloss und sich auf ihrem Stuhl zurückfallen ließ. Der Butler, gut ausgebildet für unvorhergesehene Situationen, nahm die Rotweinkaraffe auf und begann einen weiteren Rundgang. Einige Minuten lang war das einzige vernehmbare Geräusch in dem blassblauen Esszimmer das Glucksen des Weines, mit dem die leeren Gläser gefüllt wurden. Selbst Wallis war ihre gesellschaftliche Gewandtheit abhandengekommen, und sie blieb, einen Ausdruck des Entsetzens im Gesicht, auf ihrem Stuhl sitzen.
    »Miss Thomas soll unverzüglich den Wagen vorfahren. Erklären Sie ihr, dass Lady Joan und ich augenblicklich aufbrechen«, flüsterte Philip dem Butler ins Ohr, als die kristallene Karaffe bei ihm anlangte. Er leerte sein Glas mit einem Zug. Seine Frau saß halb zusammengesackt ihm gegenüber. Alle begannen sich von der Tafel zu erheben. Evangeline sah, wie Wallis aufsprang, den Arm des Königs nahm und ihn zum Flur eskortierte, fort von dem schockierten Schweigen, das Joans Aus
bruch hinterlassen hatte, und durch die schwere, bronzene Wohnungstür zum wartenden Fahrstuhl. Die anderen Gäste wurden von Ernest diskret in den Salon geleitet, wo sie sich tuschelnd unterhielten. Die Damen bedienten sich von einem Tablett winziger Gläser mit einer Flüssigkeit, die Mundwasser ähnelte, den Herren wurden ballonförmige Gläser mit Brandy serviert. Keiner von ihnen sah, wie Joans gekrümmte Gestalt aus Wallis' Wohnung geführt wurde, gestützt von Philip und May.
    Während Wallis den König in die Nacht hinausbegleitete, um ihn der Obhut seines wartenden Leibwächters zu übergeben, befand sich Evangeline in einem Zustand äußerster Erregung. Sie suchte nach Wallis' Hund, um den warmen borstigen Körper zu streicheln und sich wieder zu beruhigen, konnte das Tier aber nirgendwo sehen. Plötzlich merkte sie, dass Julian und sie ganz allein im Esszimmer zurückgeblieben waren. Es war zu schön, um wahr zu sein. Einen Moment lang war sie hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, ihrer Patentante zuliebe ihre Würde zu bewahren, und dem Verlangen, ihren eigenen romantischen Neigungen nachzugeben. Sie entschied sich für Letzteres und flüsterte mit einem verzögerten, aber von langer Hand geplanten Augenzwinkern: »Wie schade, dass die arme Joan gerade diesen Augenblick für ihren Ausbruch gewählt hat. Ich habe gehört, dass es zum Dessert eine herrliche Eisbombe mit Grand Marnier geben sollte. Jetzt werden wir allerdings darauf verzichten müssen.«
    Evangeline erkannte ihren Fauxpas sofort und fasste sich mit ihrer Hand an den Kopf, wobei sie versehentlich ihre sorgsam aufgesetzte Perücke verschob. Ihre Tollpatschigkeit ließ sie innerlich aufschreien. Hilflos musste sie mit ansehen, wie Julian mit einem Ausdruck der Abscheu in seinem hübschen Gesicht Mantel und Hut entgegennahm, die der Butler ihm reichte, und dann, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, zur Wohnungstür hinausging.

FRÜHLING
Entdeckung

    sponsored reading by www.boox.to  
     

10
    Eines Abends, als gerade die

Weitere Kostenlose Bücher