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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
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Dämmerung hereinzubrechen begann, rollte ein unbekannter Wagen langsam die Auffahrt zu Cuckmere Park hinauf und hielt vor dem Haus. Ein hochgewachsener Mann in dunklem Anzug entstieg dem Fond, wurde von Lady Joan begrüßt und marschierte in die mit Steinplatten ausgelegte Eingangshalle, als führe er einen Trupp Soldaten an.
    May war gerade auf dem Weg zum Arbeitszimmer, um die Korrespondenz zu bearbeiten, die sich in der letzten Zeit angehäuft hatte. Sie war so von ihren Chauffeursdiensten in Anspruch genommen, dass sie sich allmählich Sorgen um all die liegengebliebenen Papiere machte, die sich auf ihrem Schreibtisch stapelten. Als der Besucher mit Lady Joan die Halle durchquerte, trat sie zur Seite. Sie bemerkte seinen eleganten schwarzen Schnurrbart und sein säuberlich mit Pomade glatt gestrichenes Haar, als er den Kopf zu ihr wandte und sie geradewegs anblickte. Für eine Sekunde begegneten sich ihre Blicke mit einer solchen Intensität, dass ein heftiger Ruck durch Mays Körper ging, bevor der Unbekannte seinen Blick wieder abwandte und von Lady Joan die Treppe hinaufgeleitet wurde. Sir Philip folgte dem Paar eilenden Schrittes, indem er zwei Stufen auf einmal nahm, und schloss die Tür hinter sich, während May, verstört über die unerwartete Begegnung, ins Arbeitszimmer ging.
    Während des Vorstellungsgesprächs im Januar hatte Sir Philip May klargemacht, dass ihre Anstellung davon abhing, dass sie gewisse Dinge für sich behalten konnte und dem übrigen Personal, sei es in London oder in Cuckmere Park, keine Geheimnisse ausplauderte. Eigentlich galt dies für sämtliche Bediensteten der Blunts, doch May erlebte häufig, dass die anderen sich über dieses Gebot hinwegsetzten. In der Küche von Cuckmere wurden erbitterte Meinungsverschiedenheiten über Dienstherren, Wochenendgäste und andere Mitarbeiter ausgetragen.
»Speisekammerfußball«, so nannte Lady Joan das Töpfeklappern und das Stimmengewirr, das hin und wieder durch die stoffbezogene Tür aus dem Küchentrakt in die Wohnräume der Blunts drang. Die geheimnisvolle Art, mit der der dunkelhaarige Mann ins Haus geschafft wurde, war ein eindeutiges Indiz dafür, dass Sir Philip und Lady Joan sich große Mühe gaben, seine Anwesenheit vor dem Küchenpersonal zu verbergen.
    Abends war im Esszimmer eine kalte Mahlzeit für drei Personen angerichtet worden, sodass bei Tisch kein Personal zum Servieren nötig war. Als May am folgenden Morgen in der Eingangshalle stand und geistesabwesend über den glänzenden Kopf eines goldenen Labradors strich, erschien Mrs Cage in der Tür zum Küchentrakt. Sie trug ein Frühstückstablett, das mit einer winzigen Glasvase voller Miniaturnarzissen dekoriert war. Die Haushälterin, die wie gewöhnlich ihr langes schwarzes Wollkostüm trug und das graue Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden hatte, konzentrierte sich so stark darauf, das Tablett zu balancieren, dass sie nicht bemerkte, wie May sie beobachtete. Die Aufgabe, einem Gast das Frühstück nach oben zu bringen, war eigentlich einem der Dienstmädchen vorbehalten, und May war überrascht, dass sich Mrs Cage für eine so niedrige Arbeit hergab. Vielleicht hätte sie nicht weiter darüber nachgedacht, hätte sie nicht eine halbe Stunde später bei dem Blick auf ihre Armbanduhr gemerkt, dass sie vergessen hatte, Mr Hooch darum zu bitten, den Wagen vollzutanken, damit er am nächsten Tag für Sir Philips Fahrt nach London bereitstand. Um ein Haar wäre sie mit Mrs Cage zusammengestoßen, die eben am Fuß der Treppe angelangt war und fast zu rennen begann. Ihre Wangen waren gerötet, und sie schien nicht in der Stimmung für einen Plausch zu sein. Sie eilte geradewegs in die Küche, außer Sichtweite.
    May ging zu Mr Hooch in die Garage. Er rauchte eine Woodbine und zog ein ärgerliches Gesicht.
    »Weiß nicht, was die sich dabei denken, so einen Mann ins
Haus zu lassen«, murrte er, als er May sah. »Ich weiß, Sir Philip sagt, dass Sir Oswald ihm bei wichtigen Verfassungsfragen hilft, aber das ist mir egal. Und sollte er wegen des verdammten Heilands selbst gekommen sein. Verzeihen Sie bitte meine Direktheit.«
    May hatte Mr Hooch noch nie so lebhaft gesehen und noch nie so aufgewühlt.
    »Wer ist Sir Oswald?«, fragte sie.
    »Wer Sir Oswald ist?«, prustete Mr Hooch. »Oswald Mosley, der Mann, der das Kommando über die britischen Faschisten hat. Und noch dazu ein Judenhasser. Wenn wir ihm das Feld überlassen würden, hätten wir bald Hitler

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