Als Mrs Simpson den König stahl
Wallis und ging weiter, um ihre anderen Gäste zu platzieren. Evangeline war Ernest tatsächlich schon einige Male begegnet und hatte ihn als äußerst angenehme Gesellschaft empfunden. Sie begrüßte ihn mit einem Kuss, bevor sie George Hunter die Hand reichte.
»Ich hatte noch nicht das Vergnügen, Mr Hunter. Sind Sie wie Ernest in der Schifffahrtsbranche tätig?«
»O nein, Miss Nettlefold. Ich muss gestehen, dass ich die Unsitte, in ein Büro zu gehen, noch nie geteilt habe.«
Während die Gäste miteinander plauderten, schlüpfte Wallis aus dem Esszimmer und kehrte wenige Augenblicke später mit einem kleinen blonden Mann zurück, der mit der Wohnung der Simpsons offenkundig bestens vertraut war, denn er nahm ohne Umschweife seinen Platz neben Wallis am Kopf der Tafel ein, Lady Joan zu seiner Rechten. Die Ankunft des neuen Gastes ging so unauffällig vonstatten, dass er von den lebhaft schwatzenden Gästen zunächst gar nicht bemerkt wurde. Allmählich aber wuchs der Eindruck, dass sich in dem Raum die Atmosphäre verändert habe, und als sich die Aufmerksamkeit auf den Zwölften unter ihnen konzentrierte, senkte sich eine Stimmung der Hochachtung und Ehrerbietung über die versammelte Gesellschaft. Die Frauen machten, so wie sie gerade neben ihren Stühlen standen, einen leidlich tiefen Knicks, und die Männer verneigten sich auf eine Weise, die einem privaten Rahmen angemessen war: Sie senkten würdevoll den Kopf, statt sich dramatisch mit dem ganzen Oberkörper zu verbeugen, was,
wie man es ihnen als Schuljungen beigebracht hatte, feierlichen Staatsanlässen vorbehalten war.
»Tut mir sehr leid, dass ich mich verspätet habe«, sagte der König fröhlich und ungezwungen und lächelte jedem Gast der Reihe nach zu. In Ausübung seiner königlichen Privilegien ließ er sich als Erster auf seinem Stuhl nieder und bedeutete dann dem Rest der Gesellschaft mit einer Handbewegung, es ihm nachzutun.
Das allgemeine Gespräch wurde wieder aufgenommen. Der König beugte sich über den Tisch, um mit Sir Philip zu reden. Seine Stimme mit dem undefinierbaren Akzent, der einen Anflug von Amerikanisch mit einer unwahrscheinlichen Prise Londoner East End verband, war für alle deutlich hörbar. Als der erste Gang, ein Spinatsoufflé, aufgetragen wurde – das tiefe Grün der lockeren Oberfläche bildete einen köstlichen Gegensatz zur etwas helleren Sauce aus Brunnenkresse –, eröffnete Wallis mit einem entschiedenen »Bitte langen Sie zu!« das Dinner, wobei sie Evangeline einen bedeutungsvollen Blick zuwarf.
Bald wandte sich das Gespräch von der leidigen Dauer der dunklen Wintermonate den politischen Neuigkeiten der Woche zu. Die leeren Soufflételler wurden abgeräumt, und der König zündete sich eine Zigarette an. Wallis legte ihre Hand auf seine, allerdings so kurz, dass Evangeline die Geste nur eben mitbekam. Sofort drückte der König die Zigarette wieder aus, wobei eine dünne Schicht Asche auf die schwarze Weste schwebte, die er unter seinem Smoking trug. Hitlers Soldaten hatten das Rheinland besetzt, womit die Bestimmungen des Versailler Vertrages deutlich verletzt wurden. Einige waren der Ansicht, dass Hitler damit nur den »eigenen Hintergarten« wieder in Besitz nahm. Andere hingegen interpretierten dies als besorgniserregenden Hinweis darauf, was noch folgen mochte. Hatten sich nicht die Italiener nach ihrem Einmarsch in Abessinien im vergangenen Oktober mit Deutschland gegen das übrige Europa verbündet? Und der jüngsten Entwicklung im Rheinland
war bereits die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland vorausgegangen.
Der König war der Erste, der die versammelte Gesellschaft beruhigte. Natürlich sei Krieg etwas Furchtbares, wie er selbst bezeugen könne. Er habe viele Monate bei der Armee verbracht und während eines Frontaufenthaltes zusammen mit den tapfersten Männern an vorderster Linie gekämpft, oft mit wenig mehr ausgerüstet als seinem getreuen Stahlross.
»Aber ich darf Sie an Folgendes erinnern«, sagte er mit Nachdruck. »Nicht nur war das Rheinland früher legitimer Bestandteil des deutschen Territoriums, Adolf Hitler selbst hat den Krieg aus nächster Nähe miterlebt. Auch er hat unter den entsetzlichen Auswirkungen von Gasangriffen, von verlorenen Freunden und Familienmitgliedern gelitten.«
Der König bemühte sich, seiner Überzeugung Nachdruck zu verleihen, dass der Führer sicherlich keine Wiederholung seiner Kriegserlebnisse wünsche. Julian sah, dass Rupert
Weitere Kostenlose Bücher