Als Mrs Simpson den König stahl
Sussex dem in London vorzuziehen. Philip hatte sie gebeten, ein wenig bei der Haushalts
führung zu helfen. Er suchte ihren Rat beim Kauf von Blumen für die Wochenenden, zog sie bei der Festlegung der Speisenfolgen heran und hatte kürzlich bei einer Dinnerparty, die zu geben er sich trotz Joans Gesundheitszustand aus beruflichen Gründen genötigt fühlte, sogar die Zusammensetzung der Gäste mit ihr erörtert. Bald hatte Evangeline den bedauerlichen Zwischenfall der Vorwoche vergessen, als ein Zimmermädchen ihr Schlafzimmer just in dem Moment betrat, als sie gerade die Scherben einer französischen Vase aus dem 18. Jahrhundert unter dem Pralinenpapier in ihrem Papierkorb verstecken wollte. An dem Tag hatte Wallis eine Einladung zu einem festlichen Abendessen in Bryanston Court abgesagt, und Evangeline hatte aus lauter Enttäuschung den hübschen Gegenstand gegen den Kamin geschleudert.
Doch inzwischen hatte sich eine Gelegenheit gefunden, eigene Abendgesellschaften zu geben. Letzten Sonntag erst hatte Evangeline als Ersatzgastgeberin Joans Platz am unteren Ende des Esstisches eingenommen, und hinterher hatte Philip ihr sogar gestanden, dass er ohne ihre Hilfe kaum zurechtkommen würde.
»Danke, Philip«, hatte sie gesagt und einen kleinen Dankeskuss auf Philips Wange riskiert. »Das bedeutet mir sehr viel.«
Infolge ihres unerwarteten Aufstiegs hatte Evangeline auch neues gesellschaftliches Selbstvertrauen entwickelt. Sie hatte das Gefühl, gebraucht zu werden. Als sie für die Dinnerparty die Sitzordnung festlegen sollte und zu diesem Zweck winzige handgeschriebene Namensfähnchen in ein mit Leder überzogenes Korkbrett steckte, das mit den Umrissen des Tisches versehen war, platzierte sie sich selbst zwischen dem Ehrengast, dem Generaldirektor der BBC , Sir John Reith, und dem Bürgermeister von Eastbourne.
Seit ihrer Ankunft in England hatte Evangeline derartige Abendgesellschaften als Qual empfunden. Die Briten hielten sich streng an die Etikette, die vorschrieb, die gleiche Anzahl
Männer und Frauen um einen Esstisch zu gruppieren, auch wenn die Blunts diese Regel eher nachlässig handhabten. Dennoch zogen die weiblichen Gäste, wenn sie das Esszimmer betraten, sei es in St John's Wood oder in Cuckmere Park, häufig die Augenbrauen hoch, wenn ihr Namenskärtchen neben dem von Evangeline aufgestellt worden war; ihr Familienstand als unverheiratete Frau sorgte dafür, dass das Gleichgewicht der Geschlechter unweigerlich aus dem Lot geriet. In London bedeutete die Suche nach einem zusätzlichen einzelnen Mann eine nicht ganz so große Herausforderung. Etliche distinguierte Herren, meist überzeugte Junggesellen, freuten sich, diese Rolle auszufüllen. Auf dem Lande war die Auswahl dagegen eher begrenzt und für die Blunts zu einem noch größeren Problem geworden, seit der Vikar von Cuckmere angekündigt hatte, für diesen Zweck nicht länger zur Verfügung zu stehen. Seine Frau war es so leid, zu Hause bleiben zu müssen, dass sie damit gedroht hatte, sich nicht mehr um die Kirchenblumen zu kümmern.
Einen Tag vor dem Dinner hatte Sir Johns Sekretärin angerufen und kurzfristig mitgeteilt, er werde allein kommen, und obwohl Bettina bereits zu einem ihrer seltenen Besuche nach Hause überredet worden war, stellten Evangeline und Philip fest, dass eine Frau fehlte. In letzter Minute war die Leiterin der Dorfschule eingeladen worden, den leeren Stuhl zwischen Rupert und einem Bibliotheksrat der London Library einzunehmen, der sich gerade in Cuckmere Park aufhielt, um Sir Philips Bücher zu katalogisieren.
»Glaubst du, Miss Dobbs wird angemessen gekleidet sein?«, fragte Philip Evangeline zur Teestunde. Da seine Frau nicht da war, um seine Unsicherheit in solchen Angelegenheiten aufzufangen, war er nervös, was ansonsten gar nicht seinem Charakter entsprach. »Ich hoffe, sie hat nicht wieder diese mottenzerfressene Hose an und denkt daran, sich die angeknabberten Haare zu kämmen. Ehrlich gesagt, ähnelt sie manchmal mehr einem Mr als einer Miss.«
Evangeline war in Gedanken zu sehr mit ihrer eigenen Robe beschäftigt, um sich für Miss Dobbs' Kleidergeschmack zu interessieren.
»Unter uns«, fuhr Philip fort, »ich habe Mrs Cage angewiesen, Miss Dobbs nicht zu viel Wein einzugießen. Man weiß nie, ob Zungen, die keinen Alkohol gewohnt sind, nicht allzu locker werden.«
Endlich schenkte sie Philip ihre Aufmerksamkeit.
»Ich glaube, du hast keinen Grund zur Beunruhigung, mein Lieber. Ich bin sicher, der
Weitere Kostenlose Bücher