Als Mrs Simpson den König stahl
gepolsterten Rohrsesseln und hatten ihr Essen auf den Knien. Die Gerichte wechselten täglich, und ihre Zubereitung wurde stets von Wallis überwacht. Auf Tapeziertischen breiteten die Bediensteten mit Monogramm versehene weiße Tischtücher aus, trugen das Büfett auf, bedeckten, um Fliegen und Wespen fernzuhalten, die Schüsseln mit perlenbesäten kleinen Glocken aus feinem Maschendraht, zogen sich in die Küche zurück und überließen es den Gästen, sich selbst zu bedienen. Es herrschte ein wohlüberlegter Kodex der Ungezwungenheit. Der König bestand darauf. Die Gäste konnten so viel oder so wenig essen, wie sie wollten, und mochten die Leute auch Bemerkungen über Mrs Simpsons außergewöhnliche Schlankheit machen, niemand konnte ihr vorwerfen, Gäste nicht mit den köstlichsten Speisen zu verwöhnen.
Wer das Glück hatte, das Wochenende über bleiben zu dürfen, kam in den Genuss dicker Scheiben von in Honig geröstetem Schinken, die sich auf blauen Porzellantellern mit chinesi
schem Muster türmten. Es gab einen ganzen kalten Lachs mit Kräuterdressing und mit Champignons gefüllte Teigtaschen an einer üppigen Käse- und Petersiliensauce, frisch aus dem Ofen. Silberne Deckel verbargen Berge festkochender neuer Kartoffeln, auf denen Butterstückchen schmolzen und bis tief unten in die Schüssel sickerten. Schalen voll selbstgezogener junger Pferdebohnen, klein und unregelmäßig wie grün schillernde Meeresperlen, standen neben Tellern mit zarten Spargelstangen, die mit schwarzen Baumwollschleifchen zu Bündeln gewickelt waren. Nussige Avocados, die täglich in einem grünen Lieferwagen von Harrods zum Fort gebracht wurden, gesellten sich zu Salaten, die eben erst im Küchengarten geerntet worden waren. Und nicht zu vergessen die »Club Sandwiches«: kalter Truthahn, Tomaten und Essiggurken, zwischen Toastscheiben geschichtet und mit einem hölzernen Cocktailstäbchen befestigt, damit das Ganze nicht auseinanderfiel. Das Personal im Fort stand dieser amerikanischen Neuerung skeptisch gegenüber, doch wenn Mrs Simpson sich erst einmal für etwas entschieden hatte, war sie nicht mehr aufzuhalten. Zum Nachtisch gab es Schüsseln mit gesüßten Erdbeeren, Himbeeren und Blaubeeren, die in den Obstgewächshäusern des Forts gepflückt worden waren, und Tabletts voller Schaumgebäck, gefüllt mit gezuckerter Schlagsahne von der Windsor Home Farm. Nur einmal hatte Wallis einen Fehler begangen, über den noch oft gesprochen wurde: als sie ihren Gästen ein Gericht aus ihrer Heimat, den Südstaaten, servierte. In einem Kühlcontainer hatte sie aus Baltimore eine Diamantschildkröte kommen lassen und erklärt, ihre Mutter habe dieses Gericht oft zubereitet und es sei zu einem Lieblingsessen der Familie geworden. Abgesehen von der Portion, die sich Wallis mitsamt Zitronenspalte selbst genommen hatte, wurde das verschmähte Reptil nahezu intakt in die Küche zurückgebracht.
An jenem Sonntagmorgen, mehrere Stunden vor dem Mittagessen, zog Evangeline ihren Regenmantel aus und legte ihn
auf einen der Sessel. Allein am Swimmingpool, stellte sie sich an das obere Ende der Stufen und steckte vorsichtig einen Zeh ins Wasser. »Nicht unerträglich kalt«, dachte sie bei sich, »das schaffe ich. Ich kann es schaffen. Ich muss es schaffen! Im August werde ich alle anderen an Bord der Nahlin mit meinem Selbstvertrauen beeindrucken. Die Leute werden über meine Schwimmkünste staunen.«
Der Rand des Bassins war von samtigen Klumpen Moos bewachsen, und die Tiergeräusche, die aus dem nahegelegenen Unterholz drangen, waren für Evangelines Geschmack etwas zu nah. Indes bezwang sie ihre lebenslange Wasserscheu und begann, die Stufen hinabzusteigen. Sie konnte die Glocken der sechs Meilen entfernten St George's Chapel in Windsor Castle hören, die zum frühen Sonntagsgottesdienst läuteten, und in den nahen Bäumen zwitscherten die Vögel einander fröhlich zu.
Evangeline nahm allen Mut zusammen und stieg zwei weitere Stufen hinab. Inzwischen umplätscherte das Wasser ihre Taille, und ihr Überrock trieb um sie herum, als sei ihr Körper die Marmeladenfüllung eines Doughnuts. Nur noch ein Schritt, und sie würde schwimmen. Bevor sie den entscheidenden Sprung wagte, streckte sie die Hand aus, um sich am Rand des Bassins festzuhalten, doch unter ihren Fingern spürte sie plötzlich etwas Schlüpfriges, etwas Lebendiges. Evangeline stieß einen Schrei aus und schob den erschrockenen Frosch von sich, verlor dabei das Gleichgewicht
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