Als Musik meine Sprache wurde - Die offizielle Autobiografie (German Edition)
waren eine Qual. So mussten sich wohl Menschen fühlen, die einen körperlichen Entzug machten. Ich zwang mich dazu, nicht an die Musik zu denken, wenn ich an meinem Arbeitsplatz war. Die Ideen wiederum, die mir dennoch kamen, hatte ich zu Hause in den zwei oder drei Stunden umzusetzen, die ich mir zugestanden hatte, was mich wiederum unter Zeitdruck brachte.
Mein selbst auferlegtes Zeitlimit hielt ich zwar ein, aber es erschien mir gleichwohl viel zu kurz. Und das wirkte sich natürlich auf die Qualität der Musik aus, was mich dann ein weiteres Mal unter Stress setzte. Ich musste funktionieren – im Job und im Studio –, doch beides wollte mir nicht so richtig gelingen.
Alles schien irgendwie ausweglos – gleichwohl war ich endlich einmal gezwungen, intensiv über mein Leben nachzudenken. Und dabei fiel ich dann in eine Art Depression, in der ich mich eine ganze Zeit lang regelrecht suhlte. Ich redete mir nur noch ein, wie schlecht es mir doch eigentlich ginge und wie ungerecht die Welt zu mir sei.
Zu dieser Zeit redete ich viel mit meiner Familie – über meine Gedanken und vor allem die vielen Zweifel. Meine Mutter machte sich sichtlich Sorgen, weil ich seit Wochen schon nur noch niedergeschlagen war. Sie meinte, ich bräuchte ein wenig Gottvertrauen und ich solle die Hoffnung nicht verlieren. Das, was Mütter in solchen Situationen manchmal sagen. Ich allerdings fragte mich damals, wie mir ausgerechnet der liebe Gott in meiner Situation hätte helfen können.
Gleichwohl dachte ich noch lange darüber nach, was sie mir gesagt hatte. Sollte ich tatsächlich beten? Ich hatte das schon ewig nicht mehr gemacht. Ich muss wohl noch ein Kind gewesen sein. Damals allerdings war es lediglich ein Zwang für mich gewesen und die Angst war der Antrieb für meine Gebete. So hatte man es uns schließlich im Religionsunterricht in der Grundschule beigebracht. Ganz nach dem Motto: Wenn du dieses oder jenes nicht tust, kommst du in die Hölle. Und mit dieser Denkweise konnte ich mich nie identifizieren.
Je älter ich allerdings geworden war, desto mehr gerieten diese Erinnerungen in Vergessenheit und es widerstrebte mir geradezu, ein Gebet zu sprechen – nur, weil ich gerade keinen anderen Ausweg mehr sah. Natürlich glaubte ich an Gott. Aber an Religionen? An die Gesetze, Verbote und Gebote, die mir wenig zeitgemäß erschienen?
Ich weiß noch, dass ich in jenen Tagen gerade über diese Dinge sehr intensiv nachdachte, und damals wurde mir endgültig klar, dass ich in meinem Innersten schon immer einen Unterschied zwischen Gott und Religion gemacht habe. Ich betete an diesem Abend nicht, aber meine Gedanken kamen einem Gebet doch sehr nahe.
Unheilig
Ich schaffte es, mich wieder aufzuraffen, und beschloss, mich mit den neuen Liedern erneut bei Plattenfirmen zu bewerben. Ich wollte sehen, was dabei rauskommt, bevor ich weiterschreiben konnte. Also nahm ich ein Foto, das bei einer Fotosession entstanden war, und bastelte mir damit am Computer ein Cover zusammen. Ich hatte in dieser Hinsicht noch keinerlei Erfahrung und schob die Schriften, Zeichen und Bilder immer wieder hin und her, bis ich einigermaßen zufrieden war.
Es sah nicht sonderlich professionell aus, aber bei Weitem besser als das CD-Cover, das ich vor Jahren von einem »Profi« hatte machen lassen. Ich stellte eine Tracklist mit den Liedern zusammen und irgendwann war alles soweit fertig. Fast. Es fehlte noch ein Name. Hatte ich meine erste Platte aus einer Laune heraus »The Graf« genannt, was mit Clint und Peter zusammen zwischenzeitlich zu »The Graaf« geworden war, wollte ich nun einen Namen wählen, der eine Aussage hatte. Und genau darüber hatte ich mir bis dahin nie Gedanken gemacht.
Ich machte eine Liste mit Namen, die mir einfielen, aber es war nichts dabei, was mir zu diesem Zeitpunkt gefallen hätte. Ich wollte etwas, was meinen damaligen Zustand widerspiegelte und aussagte, wer ich war und wie ich dachte. Meine Gedanken über Gott kamen mir wieder in den Sinn, all die Fragen und Zweifel, die mich Wochen zuvor gequält hatten, und ich fing an, in der Bibel zu lesen. Ich wollte einfach wissen, wie diejenigen genannt wurden, die sich mit den Regeln von Religionen nicht identifizieren können – und ich wurde fündig.
Da stand es. Das Wort »unheilig«. Es bezeichnet in der Bibel die Menschen, die sich den Gesetzen und Regeln der Kirche nicht unterordnen wollten. Da ich an Gott, nicht aber an die Kirche glaubte, entschied ich mich
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