Als Mutter streikte
Kissen, und ihre Augen glänzten.
«Die was??»
«Die anonymen Briefe. Jeder hat dort einen gekriegt. Hast du das nicht in der Zeitung gelesen?»
«Nein.»
«Ach, es war ganz toll. Alle Leute wurden von der Polizei vernommen, und die sagten, sie wüßten auch nicht weiter. Onkel Walter sagte, die Prügelstrafe sollte wieder eingeführt werden.»
«Ja, das ist ja eine ganz scheußliche Geschichte», sagte ich. «Was stand denn in den Briefen?»
«Weiß ich nicht. Ich hab es nicht rausgekriegt. Nur beim Krämer hörte ich was von Obszönitäten, die darin gestanden hätten.»
Perse war eifrig damit beschäftigt, ein Band durch die Löcher ihrer selbstgehäkelten Bettdecke zu ziehen.
«Sag mal, Vi», begann sie nach einer Weile.
«Ja—?»
«Kennst du eigentlich welche - Obszönitäten, meine ich?»
«Nein», sagte ich.
«Ich auch nicht», sagte Perse tief enttäuscht.
«Und wie hat sich Trubshaw benommen?»
«Na, du weißt schon - wie immer», sagte sie.
Das hatte ich geahnt, und es war ja wohl auch ganz natürlich. Trubshaw hielt nicht viel von guten Manieren. «Ich glaube, Tante Clarissa ist um Jahre gealtert», sagte Perse. «Aber sie ist kein einziges Mal böse geworden, nicht mal als er in ihr Aquarium gepinkelt hat.»
«Aber Perse - das hättest du verhindern müssen!»
Sie setzte sich entrüstet auf. «Wo denkst du hin? Da kriegt er ja nur Komplexe.»
«Du, Perse?»
«Ja», murmelte sie, ohne aufzublicken.
«Wie findest du eigentlich Clifton Chisholm?»
«Langweilig. Warum fragst du?»
«Ach, nur so.»
«Du bist doch nicht etwa verliebt in ihn?»
«Natürlich nicht. Was für ein Unsinn, Perse. Im übrigen scheint er sich für Gloria zu interessieren.»
«Na, und was sagt Vater dazu?» fragte sie.
«Was sollte er dagegen haben, wenn Mr. Chisholm sich für unsere Haushälterin interessiert.»
«Glaubst du denn immer noch, daß er sie deshalb zu uns geholt hat?»
«Sehr wohl glaube ich das! Du bist ein Schäfchen.»
Am nächsten Tag hatte ich eine große Freude. Unter dem Stapel Post für Vater befand sich ein Brief für Mutter aus Guernsey -und eine wunderschöne Ansichtskarte mit viel Sand und Minaretten, die in Mutters Handschrift an mich adressiert war.
Auf der Rückseite standen die Gedichtzeilen gedruckt:
«Nach Tageshitze von den Brunnen zieht
die Karawane langsam durch den Sand.
Schwarz wachsen Schatten. Glöckchen säumen sacht
die Goldene Straße hin nach Samarkand.
Darunter stand nichts weiter als:
Alles Liebe von Mutter.»
Ich mußte schon wieder heulen, diesmal vor Freude. Ich lief selig mit der Karte zu Vater: «Eine Karte von Mutter!»
«Na, und wo steckt sie inzwischen?»
«Auf der Goldenen Straße nach Samarkand.»
«Die Goldene Straße wird heute längst eine sechsspurige Autobahn mit Rasthäusern sein», sagte Vater.
Obwohl Vater ein Mann der Literatur war, konnte er einen in zehn Sekunden aus den schönsten Träumen auf die Erde zurückversetzen.
10
Der Sommer brachte noch viele goldene Tage. Dann kamen die Mähmaschinen und fraßen ihn fort; von früh bis spät hörte man ihr Klappern. An den Bäumen reiften die Früchte.
Ich weinte nicht mehr so viel, wenn ich auch, wie es schien,
Mr. Chisholm an Gloria verloren hatte. Oft trafen sie sich zu einem Spaziergang, und kam er wirklich einmal in unser Haus, um Gloria abzuholen, dann war ich nur jemand, der ihm die Tür öffnete. Mr. Chisholm versuchte nie wieder, meine Hand zu berühren.
Zum Harker’s Clump ging ich nach wie vor hinauf, aber ich weinte dort nicht mehr. Eines Tages würde ich doch den Wrekin sehen, oder die Hügel von Yorkshire.
Oder Johnnie Wrighton. Einmal sah ich ihn, wie er die Kühe vom Melken zurückbrachte. Er schloß das Gatter hinter ihnen und kam zu mir herüber. «Gibt es den Wrekin überhaupt?» fragte ich ihn lachend. «Gibt es überhaupt etwas außer Shepherd’s Delight?»
«Das möchte man manchmal bezweifeln, da die Leute so ausschließlich mit sich und ihrem Geschwätz beschäftigt sind. Wenn ich nur denke, was man alles über Ihren Vater tratscht», sagte er.
«Ich mag nicht, daß die Leute über meinen Vater reden», sagte ich. «Aber vielleicht ist es auch bloß dummes, harmloses Geschwätz.»
«Wissen Sie, es ist dieser verdammte Bankkassierer, der das alles aufgebracht hat.»
«Sie meinen Mr. Chisholm?» fragte ich.
«Ich habe es nur von meinem Vater gehört. Er sagt, die Leute im Dorfgasthaus sind nicht gut auf Chisholm zu sprechen. Sie
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