Als Mutter streikte
finden, wenn jemand so eine Vertrauensstellung bei der Bank hat wie er, daß er dann - nun ja, einen untadeligen Lebenswandel haben sollte.»
«Wenn die Leute sich darüber aufregen, daß Mr. Chisholm ab und zu mit Miss Perkins spazierengeht, so ist es einfach töricht, daran moralischen Anstoß zu nehmen», sagte ich und versuchte, mir meine innere Erregung nicht anmerken zu lassen. «Aber ich muß jetzt nach Hause.»
«Ich habe zwar mein Arbeitszeug an, aber darf ich Sie ein Stück begleiten?»
Wir machten uns auf den Weg, und er fragte: «Das Dorf geht Ihnen wohl manchmal ein bißchen auf die Nerven, nicht wahr?»
«Ja, ein bißchen schon», sagte ich.
«Hätten Sie nicht Lust, am Mittwoch, am Halloweenfest, zum Tanz mit mir in die Stadt zu fahren?»
Er hatte meinen Clifton einen verdammten Bankkassierer genannt. Ich ging stumm neben ihm, hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, seine Einladung anzunehmen, und dem, meinem Angebeteten über allen Schmerz hinaus, den er mir zufügte, die Treue zu halten.
«Ich hätte Sie wohl gar nicht fragen dürfen», murmelte er leise.
Ich sah ihn an. Er kam mir heute so viel ernster und erwachsener vor. Aber ich blickte in das gleiche offene und freundliche Jungensgesicht, das ich kannte. Er hatte sich sicher nur aus Sorge um mich über Chisholm so heftig geäußert. «Aber ja», sagte ich. «Ich komme sehr gern mit.» Wer würde mich denn sonst schon einladen.
Wir waren jetzt an seinem Hof angekommen. Er sah mich an, seine Augen blinzelten in der Sonne.
«Also dann auf Wiedersehen. Ich werde Sie dann um sieben Uhr abholen.»
Ich nickte ihm lächelnd zu und ging weiter den Hügel hinunter. Aber alle in St. Winifred genossene Erziehung vermochte mich nicht daran zu hindern, mich noch einmal umzudrehen. Ja, da stand er noch, lächelte und winkte.
Als ich unten angelangt war, sah ich Agnes Buttle. Sie pflückte Skabiosen. «Hallo, Miss Buttle!» rief ich ihr aus einiger Entfernung zu.
Sie richtete sich auf. «Hallo, mein Kind.» Sie lächelte, aber irgendwie kam sie mir verlegen vor.
Sie hielt mir den bunten Strauß entgegen. «Sieht das nicht entzückend aus?» fragte sie. «Komm, Viola. Willst du nach Hause? Dann können wir ja zusammen gehen.»
«Aber gern», sagte ich. Sie nahm mich beim Arm und fragte: «Hast du unseren Freund Chisholm und seinen Schwarm da oben gesehen?»
«Nein.»
«Nun, vielleicht wollten die beiden auch gar nicht gesehen werden», sagte sie schelmisch. «Aber hinaufgegangen sind sie.»
Ich sah sie an. Sie lächelte - wie fast immer, doch heute lag etwas in diesem Lächeln, das mir nicht gefiel. Ein Glitzern. Das Lächeln war wie ein Reflex in hartem Glas, nicht wie der Sonnenstrahl selbst. «Sie scheinen wirklich unzertrennlich», sagte sie und versetzte damit meinem Herzen einen spürbaren Stich.
Schweigend gingen wir weiter. Sie sah mich von der Seite an. Dann fragte sie: «Sie ist doch eine Freundin deiner Mutter, nicht wahr?»
Ich nickte. Dann schwiegen wir wieder, bis sie sagte: «Ich fürchte, seiner Laufbahn wird das nicht gerade guttun.» Das kam so leise heraus, daß ich dachte, sie spräche mit sich selbst.
Wir kamen an ein Gatter. Ich sagte: «Warten Sie, ich mache es auf.» Es dauerte lange, bis ich es aufgehakt hatte. Als ich mich umwandte, stand Agnes Buttle mitten auf dem Weg, ihre Hände hingen schlaff herunter, und Tränen rannen ihr über die Wangen.?
«Aber Miss Buttle», sagte ich hilflos, «liebe Miss Buttle, was ist denn mit Ihnen los?»
Eine Weile stand sie da und sah mich mit einem leeren, fremden Blick an. Dann sagte sie: «Ach, meine Schwester - ich - sie ist sehr krank. Sie wird es nicht -»
«Lieber Gott», sagte ich. Ich bückte mich und hob die Blumen auf, die ihr aus der Hand gefallen waren. Es war das einzige, was ich im Augenblick tun konnte. «Das tut mir aber schrecklich leid», sagte ich. «Ich - ich wußte gar nicht, daß Sie noch eine Schwester haben.»
«Ich hab ja auch keine», stöhnte sie trostlos.
«Aber Sie sagten doch -»
Unter Tränen lächelte sie, schob ihren Arm wieder unter den meinen und sagte: «Weißt du, Viola, ich habe manchmal solche Depressionen, und dann komme ich mir dumm vor, wenn ich gar keinen Grund für meine Tränen angeben kann.»
«Das kann ich gut verstehen», sagte ich. Aber ich verstand überhaupt nichts. «Gibt es denn viel Ärger im Büro?» fragte ich dann. Miss Buttle war nämlich in den Gaswerken angestellt; ¡ meist braucht man sie nur darauf
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