Als Mutter streikte
stehen. Über die Schulter warf sie mir einen gereizten, ungeduldigen Blick zu. «Steh doch nicht so dumm da herum, komm endlich herein.» Ich trat ins Zimmer. Sie setzte sich und starrte mich an. «Du hast die Tür offen gelassen.» Ich schloß sie, wobei mich ein leichtes Gefühl der Unsicherheit überkam.
Die Luft im Zimmer war stickig und verbraucht. Miss Buttle sprang wieder auf, räumte Bücher und Zeitschriften vom Sofa und versetzte dem Kissen einen kleinen Knuff. «Ist es stickig hier drinnen?»
«Ja, da Sie schon fragen, ein bißchen schon, wirklich.»
«Wirklich?» äffte sie mich nach und sagte dann fast boshaft: «Nun, du wirst dich damit abfinden müssen. Diese ewige Hausarbeit und dazu das Büro mit diesem blödsinnigen Computer, der einen fix und fertig machen kann. Es sind die Nerven, hat Dr. Rodgers gesagt. Ein Nervenzusammenbruch. Willst du ein Glas Saft oder eine Tasse Tee?»
«Tee, bitte», sagte ich.
Sie ging wortlos in die kleine Kochnische. Ich blieb nervös sitzen. Nie zuvor hatte ich solche Angst ausgestanden. Ein fremdes Wesen schien von Miss Buttle Besitz ergriffen zu haben. Ich trat ans Fenster und zwang mich hinauszusehen.
Dann hörte ich hinter mir eine leise Bewegung und fuhr herum. Miss Buttle stand direkt hinter mir. Sie hatte die Hände erhoben, als wollte sie mich bei den Schultern packen. «Ich wollte dir nur den Mantel abnehmen», sagte sie. Ihr Blick war leer und ausdruckslos. «Es ist heiß hier drinnen. Aber setz dich doch hin.»
Ich setzte mich auf das Sofa. Miss Buttle stellte ein Tischchen vor mich hin und ging wieder in die Kochnische. Sicher holte sie jetzt den Tee — die Kanne, Tassen, Milch und Zucker, alles hübsch auf einem Tablett vorbereitet, wie sie das auch das letzte Mal getan hatte.
Als sie aber hereinkam, trug sie nur eine Tasse Tee in jeder Hand. «Hier, das ist deine Tasse», sagte sie bestimmt. «Zucker ist schon drin.»
Ich stellte die Tasse vor mich auf das Tischchen. Miss Buttle redete unaufhörlich. «Alles muß man jetzt fünffach ausfertigen. Kein Wunder, wenn die Leute da krank werden. Mein Vater hat immer gesagt: Mein Vater konnte sehr witzig sein. Aber nun laß deinen Tee nicht kalt werden.»
«Ich warte lieber noch ein bißchen, er ist mir noch zu heiß», sagte ich.
«Ich hatte eine Tante, die konnte ihn auch so heiß nicht trinken. Sie ist später ins Altersheim gekommen.»
«Die Ärmste.»
Auf einmal beugte sie sich zu mir herüber. Ich fuhr erschreckt zurück, aber sie wollte mir nur etwas zuflüstern. «Weißt du was? Dr. Rodgers wollte, daß ich zum Psychiater gehe. Ich denke nicht daran! Ich habe dir zwei Stück Zucker hineingetan, ist das genug?»
«Ja, sehr schön. Vielen Dank, Miss Buttle.»
«Trink doch endlich, ich habe draußen noch mehr Tee. Nein, zu einem Psychiater gehe ich nicht.»
Wenn du ihn nicht in Ruhe läßt, bringe ich dich um. Konnte sie das wirklich geschrieben haben? Mir war zwar etwas unheimlich, aber sie tat mir zugleich auch schrecklich leid. Dieses kleine graue Geschöpf mit der klanglosen, verzweifelten Stimme war so völlig verschieden von der Aggie, die ich früher gekannt hatte. Der Tee sah so harmlos aus — sollte sie es wagen?
Ich hatte sie ohne Umschweife mit dem Brief konfrontieren wollen. Aber mein Mut hielt gewöhnlich nur so lange vor wie mein Zorn und war hier in einem Strom von Mitleid und Anteilnahme untergegangen.
Immerhin wollte ich herausfinden, wie sie reagierte. Ich streck-te ihr die linke Hand hin und sagte: «Ich muß Ihnen doch meinen Verlobungsring zeigen, Miss Buttle.»
Sie sagte: «Doreen Watts bei uns im Büro, die redet auch immer davon, daß sie sich verloben will. Aber das glaube ich erst dann, wenn sie es wirklich tut, eher nicht.»
«Den hat mir Clifton Chisholm gegeben», sagte ich und wartete gespannt.
Da packte sie auch schon heftig meine Hand und starrte auf den Ring. Sie schwieg lange. Dann gab sie meine Hand wieder frei. Ihr Gesicht war völlig ausdruckslos. Ihre Hände lagen jetzt im Schoß und verkrampften sich ineinander, so als suchten sie einen Halt. Endlich sagte sie: «Ich glaube, du magst meinen Tee gar nicht.»
«Wir müssen allerdings warten, bis Clifton beruflich so weit ist.»
Sie brach in Lachen aus, in ein schreckliches, unheimliches Gelächter. Dann sagte sie ernst: «Das ist ja unglaublich komisch!» und schüttelte den Kopf.
Ich weiß, ich hätte nicht wütend werden dürfen.
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