Als Mutter streikte
Aber schließlich hatte ich mich mit Clifton Chisholm verlobt, und darüber sollte niemand lachen, auch Miss Buttle nicht, so unzurechnungsfähig sie auch sein mochte.
Ich stieg über ihre Beine in den dicken Strümpfen und flachen Schuhen hinweg und hielt ihr den Brief unter die Nase. «Haben Sie das geschrieben?»
Mit stumpfem Blick starrte sie auf den Umschlag.
«Los», sagte ich. «Nehmen Sie ihn heraus. Lesen Sie den Brief.» Meine Stimme überschlug sich. Ich hatte das Gefühl, mich nicht mehr beherrschen zu können.
Sie las den Brief und sagte dann ruhig, ohne aufzublicken: «Hinaus.»
Ich rührte mich nicht. «Haben Sie das geschrieben? Ja oder nein?» fragte ich.
Sie stand auf. Jetzt war sie nicht mehr die bedauernswerte kleine Person von vorhin. Auf einmal ging wieder Würde von ihr aus. «Viola», sagte sie, «du, sogar du, Viola», und ließ den Brief fallen.
Ich kam mir töricht und gedemütigt vor. Ich hob den Brief
auf und blieb unschlüssig stehen.
«Setz dich, Viola», sagte sie und nahm mich bei der Hand. «Ich muß mit dir sprechen. Über den Brief und über meinen früheren Verlobten.»
Widerstrebend setzte ich mich. «Ihr früherer Verlobter?» fragte ich nachsichtig. Nun ging es schon wieder los mit dem wirren Gerede, dachte ich. Die Arme.
«Jawohl, mein Kind. Ich spreche von Clifton Chisholm, diesem schäbigen Kerl.»
Ich sprang auf. «Sie vergessen, daß ich mit Mr. Chisholm verlobt bin», rief ich.
Energisch zog sie mich wieder auf das Sofa zurück. Sie nahm meine Hand und drückte sie freundlich. «Es hat mich sehr gekränkt», sagte sie, «daß du mir so etwas wie diesen Brief zugetraut hast. Aber jetzt glaubst du das doch nicht mehr von mir, nicht wahr?»
«Nein, natürlich nicht, Miss Buttle», log ich angstvoll.
Sie schien mich gar nicht gehört zu haben. Zusammengesunken saß sie da und starrte auf die glühenden Spiralen des kleinen elektrischen Ofens.
Ich verlor die Geduld. «Miss Buttle, Sie wollen doch nicht im Ernst behaupten, daß Mr. Chisholm je die Absicht hatte, Sie zu heiraten.»
Lange rührte sie sich nicht. Dann sagte sie verächtlich: «Doch - aber er war nur auf mein Geld aus, das mir Vater hinterlassen hat, und da ich es ihm nicht anvertrauen wollte, hat er mich einfach sitzen lassen.»
«Aber er ist doch viel zu jung für Sie», sagte ich und empfand selbst, wie häßlich meine Worte klangen.
Sie schüttelte den Kopf. «Wir sind nur zehn Jahre auseinander, und er sagte immer, das wäre ganz bedeutungslos. Und ich dachte, er braucht jemand, der ihn ein bißchen bemuttert.»
Ich stand auf, stellte mich vor sie hin, streckte die Hand aus, faßte sie unters Kinn und hob ihr Gesicht hoch. «Wie konnten Sie nur so etwas denken!»
Mit einer ärgerlichen Bewegung schlug sie meine Hand beiseite. Ihr Kopf sank nach unten, und sie starrte wieder auf den elektrischen Ofen zu ihren Füßen.
...sagte Miss Buttle. Geld macht schön, heißt es bei García Lorca, und Geld macht sinnlich, heißt es bei Brecht. Wäre die Natur gerecht, müßten alle Häßlichen reich geboren sein.
Ein Sprichwort der Schotten, die es wissen müssen, warnt: Heirate nie des Geldes wegen, es kommt billiger, wenn du es borgst.
Die arme Miss Buttle wußte einfach nicht mehr, was sie sagte und tat. Aber ich war schließlich kein Psychiater, sondern die Verlobte des Mannes, den sie verleumdet hatte. «Miss Buttle», sagte ich steif und ging zur Tür, «ich hoffe nur, daß Sie gar nicht wissen, was Sie da eben eigentlich alles gesagt haben.» Wütend schlug ich die Tür hinter mir zu und sauste die Treppen hinunter.
16
Von Mutter kam eine verfrühte Weihnachtskarte - aus Rio de Janeiro.
«Allmächtiger», sagte Vater, «das erinnert mich daran, daß Weihnachten vor der Tür steht. Was tun wir nur bloß?» Er sah mich erwartungsvoll an.
Vater ließ nicht locker. «Weiß vielleicht einer von euch, wie man einen Puter füllt und zubereitet?»
Schweigen. «Wahrscheinlich kann man ihn fertig kaufen, tiefgekühlt», sagte Perse.
«Ganz wie bei Dickens. Sonst noch interessante Vorschläge?»
«Müßten wir nicht Tante Clarissa einladen?» fragte Trubshaw.
«Lieber einen trockenen Kanten», sagte Vater lachend, «als einen fetten Puter mit Verwandten.»
Es gibt kein zweites Fest, dessen Kommen sich so aufdringlich ankündigt wie Weihnachten. Kaum hat der Herbst angefangen, schon geht es los. Anzeigen mit Christschmuck in den Zeitungen, seitenlange Listen mit
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