Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
überhitzten Wohnung zu verbringen und Weihnachten zu simulieren. Aber jetzt will sie mich ja nicht mehr. Und jetzt muss ich da durch.
Tatsächlich ist es dann genau so. Wir fahren nicht. Weder am 24. Dezember noch am ersten Weihnachtsfeiertag. Wir sind ja ausgeladen. Es ist zu spät, die Geschenke mit der Post zu schicken, sie kämen ohnehin nicht mehr pünktlich an. Und wenn ich Hanna wäre, würde ich ernsthaft überlegen, sie vom Paketboten direkt in den Müllcontainer im Hof werfen zu lassen.
Am Heiligabend kommen Stefan und ich spätabends müde und bedrückt von meinen Eltern nach Hause. Es war schön, ja. Aber nur mittelschön ohne Hanna. Ich schicke ihr eine SMS , frohe Weihnachten, schade, blabla. Keine Antwort. Wir stellen uns vor, wie die heilige Dreifaltigkeit Hanna/Oscar/Sophie mit Oscars Familie lustig unter dem Riesenweihnachtsbaum sitzt, wie sie die Gans und Schnäpse verputzen. Da holen Stefan und ich auch die Flasche raus. Wir trinken deutlich mehr als zwei Schnäpse. Und um Mitternacht heule ich.
Zwei Wochen später fahren wir nach Leipzig. Es war weiß Gott nicht einfach, diesen Termin zu kriegen. Die Familienbeziehungen sind unterkühlt. Als wir unsere Geschenke auspacken, müssen Oscar und Hanna sich artig bedanken. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig. Sophie kriegt einen Lauflernwagen, den besten und ökoholzzertifiziertesten, den es gab. »Ja, danke«, sagt Hanna, »ganz toll.« Ja, so, ganz toll. Beim Abschied umarmen wir uns vorsichtig. Jetzt bloß nichts kaputt machen. In knapp zwölf Monaten ist wieder Weihnachten.
Trotzdem war der Besuch richtig. Nach der umfassenden Weihnachtskrise haben Hanna und ich das dringende Bedürfnis, uns wieder einzukriegen. Jede hat der anderen gezeigt, wo der Hammer hängt. Und jetzt arbeiten wir mal brav daran, dass es nicht wieder zu einem Crash kommt. Wir telefonieren regelmäßig, ich bekomme Fotos gemailt. Auf einem ist Sophie zu sehen, wie sie mit unserem Ökolauflernwagen durch die Wohnung karrt. Wir treffen uns alle wieder öfter, ohne offizielle Feiertage. Und es tritt ein, was wohl jede von uns gehofft hatte: Wir vergessen diese ungute Weihnachtsgeschichte. Das geht, tatsächlich.
BESUCHSZEITEN
EINE BLAUÄUGIGE KLEINKÖNIGIN WIRD EIN JAHR ALT UND BEKOMMT SCHLAGSAHNETÜRME
Heute wird Sophie ein Jahr alt. Dieses Jahr ist durchgerauscht. Sophie war angekündigt, traf ein, stellte alles auf den Kopf und ist nun nicht mehr wegzudenken. Sie macht einfach alles eins a richtig. Sie wächst und gedeiht, bekam pünktlich zwei Zähne, steht allein, wenn sie vergisst, sich festzuhalten. Sie stößt immer mal wieder ihren spitzen Ich-bin-eins-Signalschrei aus, sie kann richtig gut tanzen und ist – sorry – auf sehr ansprechende Weise verfressen. Sie schläft regelmäßig, und zwar mit halb heraushängendem Schnuller und diesem verrückten Rachenrasseln. Sie schenkt so gut wie jedem ein Lächeln. Und sie kann auch dieses Babygucken, Sie wissen schon: Kinder, die auch durch Angrinsen und Backentätscheln nicht aufhören zu gucken, als planten sie gerade ihre nächste Meditationswoche irgendwo im srilankischen Hochland. Ach.
Laut dem aktuellen Bericht der Weltgesundheitsorganisation haben hierzulande neugeborene Mädchen eine Lebenserwartung von dreiundachtzig Jahren. Jungen verabschieden sich schon etwas früher, nämlich mit achtundsiebzig. Das bedeutet, dass Sophie rein rechnerisch noch gut und gern achtzigmal den Tag ihrer Geburt feiern kann. Die erste Party allerdings wollen wir ausrichten.
Stefan und ich laden deshalb zum Kindergeburtstag ein. Die ganze Bagage soll kommen, wir versprechen, für reichlich Torte und Würstchen mit Kartoffelsalat zu sorgen. Ach, denke ich, es ist wie früher! Nur dass diesmal nicht zehn Kindergartenkumpels bei uns einfallen, sondern zwanzig Erwachsene, die einer einjährigen Blauäugigen huldigen.
Während meiner Regentschaft als Mutter – vor der Entthronung also – waren Kindergeburtstage bedeutende Tage im Jahreskreislauf. Meist nahm ich einen Tag Urlaub, um alles Nötige vorzubereiten. Ich buk Kuchen und kaufte kiloweise Preise und Miniwindbeutel. Ich putzte die Wohnung und verdonnerte meine Töchter, gefälligst ihre Zimmer so aufzuräumen, dass ein paar Quadratmeter Platz für die Gäste entstanden. Brav schoben sie den Wohlstandsmüll der zurückliegenden Monate an die Seite. Sodann nutzten sie den neu gewonnenen Platz auf ihrem Schreibtisch, um aufwendigste Einladungen zu basteln. Gekaufte Karten
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