Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
Wichtel. Bei uns gab es nämlich keinen Weihnachtsonkel, der betrunken die Rute schwang. Ich wollte das als Kind gerne und hab es dann irgendwann selbst in die Hand genommen. Weihnachten war immer das Fest schlechthin. Da gab es die meisten Geschenke, alle waren beieinander, und abends fuhren wir mit dem Auto nach Hause, wo Mama und Papa uns nur noch ins Bett legten, weil wir eh schon mit dem Klappen der Autotüren eingeschlafen waren.
Und in diesem Jahr wollten wir diesen Kreislauf von vorn beginnen lassen. Wir haben den Anfang dieser neuen Generation geschaffen. Das erste Kind, das nach zehn Durstjahren endlich wieder leuchtende Augen kriegt, für das man einen Baum schmückt und Lieder singt. Vor dem man die Geschenke verstecken muss und das dann völlig erschöpft einfach irgendwo einschläft. Das Kind, das mit dem Wissen aufwachsen soll, dass Weihnachten etwas ganz Besonderes ist.
Am nächsten Tag ruft meine Mutter noch mal an. »Da biste sauer, stimmt’s?« Na, immerhin hat sie das bemerkt. »Ja«, sage ich, und sie: »Das tut mir leid.« Mehr nicht. Insgeheim hatte ich gehofft, dass sie doch kommen würden, wenn ich es mir so sehr wünschte. Aber die Trägheit hat offenbar bereits Monate vor dem eigentlichen Event gesiegt. Einen letzten Versuch starte ich noch: »Ich finde das Argument so schwachsinnig«, ich schaffe es nicht, meine Enttäuschung zu verbergen, werde undiplomatisch und wütend. »Ihr sitzt doch auch sonst an Weihnachten um zehn vor dem Fernseher. Ob nun im Hotel oder zu Hause, ist da auch egal. Und außerdem ist nicht gesagt, dass es um zehn vorbei sein wird.« Ein stilles Ende und Klicken in der Leitung. Wir legen auf, und mir steigen die Tränen in die Augen. Mich bei ihrem Weihnachten dabeizuhaben scheint meinen Eltern weniger wichtig zu sein, als ein möglichst unanstrengendes und ortsnahes Fest zu feiern.
Nachdem ich mich beruhigt habe, frage ich mich, was an der ganzen Geschichte eigentlich so dramatisch ist. Es tut weh, dass meine Eltern mir nicht zutrauen, dass ich so etwas sowohl planen als auch veranstalten kann. Aber ist es denn überhaupt Pflicht, Weihnachten immer miteinander zu verbringen? Fakt ist, dass jetzt offenbar die Beziehungen neu geordnet werden. Und so etwas wie ein Weihnachtsfest ist ja der absolute Klassiker unter den Familiendramen. Es ist wie mit kleinen Kindern, die ihre Freunde in Erst-, Zweit- und Drittbeste einteilen. Ich fühlte mich mindestens an die vierte Stelle gesetzt. Meine Mutter meinte, dass es auch zum Erwachsenwerden gehöre, so einen Konflikt auszuhalten. Mag sein. Gehört da aber nicht auch dazu zu erkennen, wann etwas jemandem, den man mag, wirklich wichtig ist, und dann auch über seinen eigenen Schatten springen zu können?
Oscars Familie sagte ohne Umschweife zu. Ob sie familienfanatischer ist oder einfach unehrlicher? Klar wünsche ich mir Ehrlichkeit zwischen meinen Eltern und mir. Aber manchmal muss man zur Erhaltung des Friedens doch auch ein bisschen flunkern oder nur die halbe Wahrheit sagen können. Das habe ich seit meinen Bemühungen um die Aufnahme in den Verein Vollwertig Erwachsener gelernt. Dann flunkere ich jetzt eben, wenn meine Eltern auf die reine Wahrheit setzen wollen. Nee, ist kein Problem, die Sache mit Weihnachten.
DER FINALE WEIHNACHTSKRACH GEHT ÜBER DIE BÜHNE, UND MIT ZWEI WOCHEN VERSPÄTUNG WECHSELT EIN LAUFLERNWAGEN DEN BESITZER
Vier Monate sind seit dem Weihnachtsstreit vergangen. Vier Monate, in denen kaum die Rede davon war, worüber wir uns da eigentlich in die Wolle gekriegt hatten. Es ist auch wurscht, in vier Tagen ist Weihnachten, ich liege völlig geschafft auf der Couch und schicke Hanna eine E-Mail. »Sag mal, Schnuppi«, schreibe ich, »wie lautet eigentlich deine Skype-Adresse?« Mit dieser Mail fängt der ganze Ärger wieder von vorn an – aber das weiß ich noch nicht, als ich auf Senden drücke.
Tatsächlich habe ich gerade erst den Zauber des Bildtelefonierens entdeckt. Gerade erst bedeutet: Etwa zehn Jahre nach der Erfindung von Skype bin ich in der Lage, auf meinem iPad zu skypen. Eingerichtet habe ich diese Möglichkeit nicht selbst, Stefan war so freundlich, weil unser guter Nachbar Bert beschlossen hat, diesen Winter in Thailand zu verbringen. Bert ist Rentner, der darf das. Ich bin Werktätige von Beruf, ich darf das nicht. Aber ich kann mit Bert skypen, um angelegentlich unserer Gespräche zu sehen, wie sich hinter ihm im Bild die Palmenwedel im Abendwind wiegen, während vor meinem
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