Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
Wochen nach der Geburt schläft sie zusammengekauert in ihrer kleinen weißen Wiege. Ihre Lider sind rot, ihre kleinen Finger umschlingen einander, und Oscar kauert daneben und betrachtet verliebt seine kleine Tochter. Er liebt sie. Und ich weiß, dass er sie niemals im Stich lassen wird. Ich weiß, dass diese beiden Menschen jetzt ein Herz und eine Seele sind und dass Oscar sich ihr versprochen hat. Egal, ob wir uns verstehen oder nicht. Egal, ob das politische System zusammenbricht und er seinen Job verliert. Egal, ob er im Plattenbau wohnt. Oscar hat auch seinen leiblichen Vater verloren, und er weiß, wie sehr das schmerzt. Ich spüre, dass dieses Leben mit Sophie zu wertvoll ist, um es diesem verantwortungslosen Erwinerzeuger guten Gewissens zeigen zu können. Egal, ob ich etwas verpasse. Er hat verbrannte Erde hinterlassen. Den überflüssigen Ultraschallabzug stecke ich in Sophies Erinnerungskarton. Da kommen Bilder, Glückwunschkarten, erste Briefe und Geschenke rein. Irgendwann werde ich ihr davon erzählen, dass da noch jemand existiert. Vielleicht wird sie gar nicht verstehen, warum mich das Kraft kostet. Vielleicht will sie ihn ja auch kennenlernen. Er soll Ziegen mögen. Das ist das erste Tiergeräusch, das Sophie nachmachen konnte. Es hört halt einfach nicht auf.
ZUMUTUNGEN. EIN MANN NAMENS ERWIN VERHÄNGT STRAFEN, ANSCHLIESSEND WIRD STEFAN IN JEDER HINSICHT VATER
Ich habe eine Menge Lebenszeit verbraten, um über diese Erwinsache hinwegzukommen. Erwin ist Hannas Vater, Hannas leiblicher Vater. Wenn ich es mir einfach machen wollte, dürfte ich ihn einfach so nennen: Arsch. Aber natürlich ist er das nicht nur, auch wenn Stefan das anders sieht.
Erwin und ich waren zwei junge Hühner, die vor vielen Jahren eine großartige Dummheit begangen haben. Wir haben miteinander ein Kind gezeugt, Hanna. Anfangs haben wir uns geliebt. Doch, das kann man so sagen. Auch wenn Stefan das anders sieht und auch wenn selbst ich heute eher von Verknalltsein sprechen würde. Aber damals: große Liebe, großes Pathos. Schnelle Heirat, ungute Szenen. Baldige Trennung, zeitnahe Scheidung. Gefühlschaos, aus dem nur eine Person ruhig und strukturiert hervorragte: unser gemeinsames Kind.
Als es vorbei war mit Erwin und mir, wirklich und endlich aus und vorbei, da war es das noch lange nicht. Die ganze Erwingeschichte, die Tränen, die Schmerzen, das Versagen, klebte noch Jahre an mir. Wenn ich mit Freundinnen sprach, die ihn kannten, erwischte ich mich dabei, dass ich sie nicht fragte, sondern aushorchte. Wenn ich ihn zufällig auf der Straße traf, fing ich an zu zittern. Wenn ich mit Stefan in Streit geriet, merkte ich, wie alles noch pulsierte in mir: Gleich ist es aus! Wenn es ganz schlimm wurde, sagte ich mir meinen Zauberspruch auf: Ich habe gewonnen, ich habe Hanna.
Ich hatte mir das eigentlich nicht so gewünscht. Noch beim Scheidungstermin in einem Ostberliner Bezirksgericht erklärte ich nachdrücklich meinen Wunsch, Erwin solle seine Tochter weiter sehen. So stand es dann auch im Urteil: »Dem Vater wird alle zwei Wochen in Absprache mit der Mutter das Umgangsrecht eingeräumt.« Er ist aus dem Gerichtssaal hinausspaziert und hat sich nie wieder gemeldet. Das war seine Strafe für mich. Und tatsächlich, es war eine Strafe. Denn ich war zwar froh, nicht mehr mit ihm zusammenleben zu müssen. Aber ich war nicht ununterbrochen froh, alles immer alleine regeln zu sollen.
Und ich war auch alles andere als froh darüber, ihm Monat für Monat wegen des Unterhalts hinterherrennen zu dürfen. Denn das war die andere Strafe, die er sich für mich überlegt hatte: kein Geld. Dass das nicht mein Geld gewesen wäre, sondern Hannas, kam ihm offenbar nicht in den Sinn. Das weiß ich, weil kurz nach Hanna, nahezu im Jahresrhythmus, drei weitere Kinder von ihm durch den Prenzlauer Berg liefen. Erwinkinder. Es war wie in einem sehr schlechten Film. Mit den Müttern der Erwinkinder bilde ich bis heute eine Art lose Notgemeinschaft. Keine von uns hat je wieder Unterhalt bekommen, seit Erwin sich irgendwohin in die Provinz abgesetzt und Privatinsolvenz angemeldet hat.
Dann lernte ich Stefan kennen. Ich musste zwischen ihm und der anderthalb Jahre alten Hanna gar nichts vermitteln, die beiden verstanden einander blind. Und sie tun das bis heute. Dass der strafende Erwin sich in jeder Hinsicht absentiert hatte, stellte sich auf lange Sicht als großartiger Vorteil heraus. Die für die Kinder komplett belastenden Geschichten von
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