Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
jede Salbe, die sie besitzt, Schnuller, so viele, wie ich auftreiben kann, ein Kuscheltuch, das nach Mama riecht, zwei Lieblingsspielzeuge und natürlich ein Megapack Windeln. An nichts soll es ihr fehlen dort draußen, wahrlich an nichts. Und meine Mutter schaffte es ernsthaft, uns für zwei Wochen zwei Schlüpfer einzupacken? Mama, hattest du uns überhaupt lieb?
Ja, natürlich weiß ich, dass meine Mama uns lieb hatte. Viel mehr frage ich mich, was damals anders war, dass so etwas passieren konnte. Vielleicht existierte der Begriff »Rabenmutter« noch nicht. Oder es war tatsächlich einfach nicht so wichtig, was man seinem Kind in den Koffer packte. Hauptsache, Kind, Mutter und eine Flasche Wasser sind an Bord. Oder vielleicht waren es auch nicht die sozialen Umstände, die anders waren. Vielleicht bin ich tatsächlich einfach anders als meine Mutter. Das wäre ja ein Ding. Was mache ich so wie sie damals, was anders – und warum? Denn eigentlich wehre ich mich standhaft dagegen, Dinge zu tun, die ich für spießig, also altmodisch und unnötig halte. Das Wichtigste, obwohl ich ungefähr jeden zweiten Tag gefragt werde: Ich möchte keine Paybackkarte. Das ist ein Prinzip. Und wahrscheinlich wäre ich als Besitzerin einer Paybackkarte dank meinem täglichen Drogeriemarktbesuch schon Goldkundin. Aber: Vielleicht bin ich ja morgen schon am Titikakasee oder im Himalaja. Und was soll ich da mit eurer blöden Paybackkarte anfangen, wenn ich eigentlich Extrabodys für das Kind bräuchte? Außerdem stelle ich mir jedes Mal vor, wie meine Mutter, lachend und mit dem Finger auf mich zeigend, neben mir steht und allen Kunden im Laden zuruft: »Haha. Meine Tochter hat eine Paybackkarte, seit sie Mutter geworden ist. Sie gibt sich selbst und ihre Autonomie für ein kleines Stückchen Plastik und den täglichen Sammelspaß auf.«
Ich möchte nicht ausgelacht werden und auch nicht in dieses System, möchte mich auch mal verweigern. Das habe ich von meiner Mutter geerbt. Ihr System beruht auf dem Grundsatz: Mach nichts, worum dich andere bitten. Lass es immer so aussehen, als hättest du sie auf die Idee gebracht. Und wenn deine Schwiegermutter um genügend Wäsche im Sommerurlaub bittet, dann tu genau das Gegenteil. Nur so kannst du unabhängig bleiben. Das System funktioniert. Der Haken ist nur, dass es die Leute vom Drogeriemarkt einen feuchten Kehricht schert, ob ich die blöde Karte habe oder nicht. Ich allein muss ständig die Frage danach verneinen. Wie lange werde ich es also noch schaffen, mich zu verweigern? Ist das System wirklich so sinnvoll?
Denn all diese Bemühungen gegen das Establishment nützen wenig, wenn das Symbol der sozialen Anerkennung schlechthin sich in meiner Feinstrumpfhose festkrallt. Das Kind an meiner Seite schreckt die jungen Menschen meiner Generation schlicht ab. Flyerverteiler verteilen keine Flyer an mich, wenn ich mit Sophie unterwegs bin. Auf Französisch bin ich jetzt Madame und nicht mehr Mademoiselle. Menschen, die genauso alt sind wie ich, siezen mich plötzlich und tun es auch weiterhin, obwohl ich sie bitte, mich zu duzen. Mir werden Plätze frei gemacht, Türen aufgehalten, heruntergefallene Mützchen hinterhergetragen, Ratschläge gegeben, und in jedem verdammten Laden werden mir Kundenkarten »extra für Muttis« angeboten.
Ich liebe Sophie, und ich liebe es, Mutter zu sein, aber ich bin keine Außerirdische in den besten Jahren. Und schon gar keine Mutti. Mutti geht gar nicht. Muttis tragen kurze und praktische Frisuren, die am Pony auftoupiert werden, damit sie tagsüber auf keinen Fall bei der Kindshut stören. Muttis chillen nicht abends auf dem Balkon, sie entspannen im Park mit anderen Muttis. Es ist ein außerordentlich krampfhafter Kampf gegen die Gefühle, die ich dann trotzdem immer wieder habe. Ich beginne, saubere Wäsche zu lieben und dazu zu stehen. Ich fühle mich komisch, wenn ich nachts durch dunklere Straßen laufe. Ich habe ständig Angst vor Blasenentzündungen und gehe immer seltener ungeschminkt vor die Tür. Oh Mann, werde ich alt?
Vor Kurzem nahm ich zum ersten Mal nach langer Zeit wieder Kontakt zu einer Freundin aus dem ersten Studienjahr auf. Eine Zeit, an die ich mich nur dunkel erinnere. Erstens weil in der Zwischenzeit viel passiert ist. Zweitens weil wir meistens nachts aktiv waren. Und drittens weil ich in der Zeit eine üble Phase durchgemacht habe, in der weiche Drogen eine Rolle spielten und die mein Kopf zu meiner eigenen Sicherheit zu
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