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Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)

Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)

Titel: Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Maier , Hanna Maier
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tun wir. Wir massieren und cremen ihn. Wir wiegen und besingen ihn. Wir bekochen und befüttern ihn. Natürlich ausschließlich mit Gesundem. Das geht vielleicht ein Jahr gut.
    Und dann passiert es. Das Kind schmeckt zum ersten Mal Zucker.
    Vielleicht geschieht es am Frühstückstisch, wo das Baby einen Klecks Nutella abkriegt. Möglicherweise beim Bäcker, wo wir aus Versehen das Schokocroissant eingepackt bekommen haben. Oder bei den Großeltern, die ja bekanntlich meinen, alles zu dürfen – zum Beispiel Schokolade verteilen –, und es deshalb auch tun. Vorausgesetzt, es sind keine Erziehungsberechtigten in der Nähe.
    Fakt ist jedenfalls, dass Sophie zwar noch nicht lesen und schreiben kann, dass aber ihre Sinne das Wort »Schokolade« offenbar schon mehr als einmal genüsslich durchbuchstabiert haben. Mir liegt ein Beweisfoto vor, auf dem sie mit delirierend verdrehten Augen in ihrem Hochstuhl sitzt – vor sich zerfetztes lila Stanniolpapier. Also, denke ich, der Zuckerzug ist doch für Sophie längst abgefahren, dieses Kind ist drauf. Und zwar so drauf, wie auch Hanna und ihre Schwester es waren. Denn ich, ihre Mutter, war eines dieser kurz gehaltenen Kinder und deshalb später eine großzügige Mutter. Erschwerend kam noch meine Geschwisterrangfolge hinzu: Als jüngstes von drei Kindern hatte ich im Zweifelsfall das Nachsehen gegenüber Bruder und Schwester. Sind eben wirklich so kleine Hände.
    Als viele Jahre später Hanna geboren war, bestaunte ich noch eine angemessene Zeit lang ehrfürchtig ihren perfekten Body und schnupperte ihren Atem. Ich kremte ihren Po ein und kochte Gemüsebreichen. Aber spätestens, als sie mit neun Monaten in die Kinderkrippe kam, war es um ihre Zuckerjungfräulichkeit geschehen. Denn dort wurde praktisch jede Woche irgendein Kindergeburtstag gefeiert. Nachmittags wurde der kleine Jubilar besungen, und danach setzte das Kuchengewitter ein. Kam ich Hanna abholen, kündeten ihr seliger Gesichtsausdruck sowie Schokoschlieren auf ihrem T-Shirt von den vorangegangenen Ereignissen. Hanna war drauf auf der Zuckerdroge. Von nun an erkannte sie Süßes, und ihren Drang nach Schoko, Keki und Kuchi verstand sie lautstark zum Ausdruck zu bringen.
    Ich hatte ein schlechtes Gewissen damals. Zucker war doch das Böse. In den Medien machten gerade Fotos von karieszerfressenen Kauleisten die Runde – schuld war ein verbrecherischer Instanttee, der Kindern in der Nuckelflasche verabreicht wurde. Ein Produkt, das heute augenblicklich von der Weltgesundheitsorganisation geächtet würde. Aber da waren auf der anderen Seite Hannas inniger Wunsch nach Süßem sowie, nach Erfüllung desselben, ihre glänzenden blauen Augen und die gute Stimmung nach einem Stückchen Schokolade. Außerdem, dachte ich, bin ich der Zuchtmeister meiner Tochter? Könnte ich nicht gar eine verantwortungsvolle Zuckeresserin aus ihr formen, wenn ich Süßes erlauben würde? Verbote waren doch was für Erziehungsfaschos. Und so ummantelte ich argumentativ mein pädagogisches Unvermögen, mich gegen die Sucht meines Kindes zu stemmen.
    Der Zucker blieb auf immer ein großes Thema in unserer Familie. Denn auch ich war eine Süchtige – aus oben genannten biografischen Gründen. Ihren ausdrucksstarken Höhepunkt erreichte meine eigene Abhängigkeit, als ich nach der Geburt von Hannas Schwester eine Zeit lang verrückt nach Nugatstangen war. Ihr Vorteil: Sie waren klein, preiswert, handlich und gut im Nachttisch zu verstecken. Ihr Nachteil: Sie machten mich noch dicker, als ich ohnehin gerade war. Und sie brachten mich in eine äußerst peinliche Situation, als Stefan meine Vorräte entdeckte. Wie ein routinierter Sozialarbeiter führte mein eigener Ehemann ein vertrauensvolles Gespräch mit mir. Auf Leugnen und Wüten folgten Einsicht und Konsequenz. Und wie sah die aus? Wir packten meinen gehorteten Nugatstangenvorrat in eine Tüte und brachten sie … Entschuldigung, aber was jetzt kommt, ist einfach zu blöd.
    Wir brachten sie in den Kindergarten unserer Töchter. Auf dass Fett und Zucker dort für Abhängigkeit sorgen mögen.
    Okay, das war eine andere Zeit. Heute gilt in Kitas die Selbstverpflichtung, Zucker nicht an Kinder zu verdealen. Und wer nicht mitzieht und seinem Kind heimlich Knoppers in die Jackentasche schmuggelt, wird wegen Vertrauensbruchs schon mal rausgeschmissen. Ich kenne Eltern, die haben wegen des falschen Joghurts im Schulranzen ihrer Tochter richtig Ärger mit der Hortleitung gekriegt. Ganz ehrlich,

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