Als schliefe sie
wahrsten Sinne des Wortes vernascht. Was soll ich sagen? Er roch nach Weihrauch und Honig, hatte etwas von einem Gott. ›So wird der Mensch zum Gott‹, sagte er. In seinen Armen schmolz ich dahin. Er war gut gebaut. Ich dagegen, wie auch jetzt, schlank. Kaum aber hatte ich mich ausgezogen, wich er entsetzt zurück. ›Wo hast du das her?‹, fragte er. Ich habe recht füllige Hüften. Unter dem Kleid fiel das aber nicht auf. Vielleicht, weil ich Angst vor ihm hatte. Nein, nicht Angst vor, sondern Angst um ihn. Vielleicht hat es mir ja deshalb so viel Spaß mit ihm gemacht. Ursprünglich hatte ich ihn aufgesucht, um zu beichten. Ich kniete nieder, er legte mir die Stola auf den Kopf, und dann fing ich an zu reden. Ich hatte noch nie gebeichtet. Gar nicht wahr. Also am Abend vor Ostern bin ich immer in die Kirche gegangen. Mit all den anderen Leuten stand ich vor dem Altar. Der Priester hob die Hände und segnete uns. Das war es schon. Keine Ahnung, was mich an dem Tag geritten hat. In aller Frühe machte ich mich in die Kirche auf. Sie waren gerade beim Morgengebet. Ich ging zum Bischof. Er erhob sich von seinem Stuhl und streckte mir die Hand hin, weil er dachte, dass ich sie, wie alle anderen es taten, küssen wollte. Also nahm ich die Hand und küsste sie. Ich trat näher an ihn heran und flüsterte ihm ins Ohr, dass ich gern beichten würde. Verwundert schaute er mich an. Ich verstand. ›Du?‹, sagte er mit bebender Stimme. Er ließ mich links neben dem Altar niederknien, und dann geschah, was geschah.«
Iskandar Schâhîn schrieb auf, was Marika ihm erzählte. Alles schrieb er nieder. Über Saîd as-Sabbâgha, wobei er selbstverständlich den Namen änderte. Über die Nonne, die Kranke heilte. Über Marikas Leidenschaft zu der Nonne. Über den Bischof. Wie er kopflos vor Wut die Nonne in ein verlassenes Kloster in Kûra verbannte. Wie die Nonne in der Einöde zur Heiligen des Dorfes Bkiftîn wurde. Anfangs allein dort, kamen später drei Nonnen aus dem Erzengel-Michael-Kloster dazu, um ihr zu dienen. Die Nonne verlor ihre Sehkraft, worauf ihre besonderen Fähigkeiten zutage traten und sie Wunder vollbrachte. Obwohl blind, konnte sie sich ohne Hilfe durch das Kloster bewegen. Beim Beten entstieg ihrem Mund Weihrauch. Um Kranke zu heilen, brauchte sie keine ölgetränkte Watte mehr. Eine Berührung mit der Hand genügte. Begleitet von klagendem Singsang, den sie von sich gab, breitete sich der Ölduft aus, und sofort ließen die Teufel von dem Kranken ab. Am Ende ihres Lebens vermehrte sich die Zahl der Wundertaten rapide. Drei Tage vor ihrem Tod erteilte sie Bischof Gerasimus, der angereist war und sie unter Tränen um Vergebung anflehte, die Absolution.
Marika hatte Iskandar außerdem erzählt, dass seine Großmutter Saada treu bis an ihr Lebensende die heilige Nonne im Johannes-der-Täufer-Kloster in Bkiftîn besuchte. Jene Besuche seien Saadas einziger Trost gewesen angesichts der Katastrophe, die ihre Familie erschütterte.
Iskandar konnte gar nicht so schnell gucken, wie Khawâdscha Saîd Sabbâgha den Artikel in der Schublade verschwinden ließ. Er erkenne, so Herr Sabbâgha, die hervorragende Arbeit an. Leider könne er diesen außerordentlich interessanten Artikel jedoch nicht veröffentlichen. Denn damit würde das Andenken des Bischofs beschädigt, was in einem Land wie dem Libanon möglicherweise konfessionelle Konflikte entfachen könnte. Der junge Journalist bat um Rückgabe des Manuskripts. Doch Khawâdscha Saîd hatte es verlegt. Zumindest behauptete er das. So verblasste Marikas Geschichte in der Erinnerung zu einem bloßen Namen. Einem Namen jedoch, der allerlei Phantasien und Begierden erregte, vor allem bei Betrachtung der magischen Beziehung zwischen »kaf« und »alif« am Ende des Wortes, die in arabischer Schrift einen Liebesakt zu versinnbildlichen scheinen.
Als Iskandar seinen Vater Mûsa nach Milia, der Nonne und dem Bischof fragte, kamen dem alten Mann unwillkürlich die Tränen. Der dunkelhäutige Mann, inzwischen restlos weißhaarig, sagte kein Wort. Vielleicht hatte er die Frage nicht verstanden. Lautlos von Tränen erstickt, weinte er, kaum dass er den Namen seiner Schwester hörte.
Saada klammerte sich an das Gewand der Nonne, die gerade ein Gebet für das Abendlicht sprach.
»O Mutter Gottes, rette uns!«, rief Saada. »Mutter des Lichts, hilf! Milia! Milia stirbt!«
Die Nonne wandte sich der Stimme zu, rupfte Saada das Gewand aus der Hand und schickte sie
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