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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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mich in sich einsaugen. Dann ging er. Beim dritten Mal verlief es wieder genauso. Nachdem er den Duft meiner Haare eingeatmet hatte, drehte er sich um und wollte zur Arbeit ins Hotel gehen. Doch da nahm ich seine Hand und führte ihn ins Haus. Er war verunsichert, stolperte unterwegs mehrmals, wäre fast gestürzt. Als er aber ins Haus kam und sah, dass du nicht da bist, stürzte er sich auf mich und versuchte mir die Kleider vom Leib zu reißen. Ich wollte ihn doch. Warum hat er sich so verhalten? Ich fühlte mich verletzt und war den Tränen nahe. Er nahm mich in den Arm, und dann rannte er plötzlich weg. Ich verstehe das nicht. Auf einmal habe ich ihn nur noch gehasst. Ich will keinen Tag länger bleiben.‹ Das waren ihre Worte. Warum hast du das getan?«
    »Nein, das habe ich nicht«, sagte Mûsa. »Sie hat die Geschichte erfunden. Der Pfarrer hat mich im Hotelrestaurant angeschrien und öffentlich blamiert.«
    Mûsa schilderte seiner Schwester den Vorfall bruchstückhaft. Es war, als sei ihm das Gedächtnis abhanden gekommen. Alles wie weggewischt. Eines allerdings wisse er mit Sicherheit. Ihm sei nicht klar gewesen, dass Susan kein Arabisch sprach. »Ihr Vater ist schuld. Er setzte sich zu mir an den Tisch und rief sie dazu. Wir unterhielten uns auf Arabisch. Richtig. Sie hat nie ein Wort von sich gegeben. Aber sie erweckte den Eindruck, als ob sie alles verstünde. Sie nickte immerzu und lachte, wenn ihr Vater lachte. Alles schien in bester Ordnung zu sein. Wenn ich neben ihr ging und etwas sagte, nickte sie. Ich dachte, sie sei einfach nur wortkarg. Dann dachte ich, dass es bei den Reformisten, Adventisten und all den Sekten, die aus Amerika zu uns kommen, vielleicht so ist, dass Frauen vor der Ehe nicht mit einem Mann reden dürfen. Wer weiß. Aber der Pfarrer war verrückt. Sie ist vor ihm weggelaufen, nicht vor mir.
    Der libanesische Hoteldirektor, Khawâdscha Salhab, erzählte mir, dass er dem Pfarrer Hausverbot erteilen wolle, weil er sich jeden Sonntag heillos betrank und sich dann mit den Gästen anlegte. ›Außerdem‹, sagte er, ›gehört sich das nicht. Ein Geistlicher, der sich derart volllaufen lässt! Nein, den will ich hier nicht haben. Doch im Vertrauen, von Mann zu Mann. Wie sind denn die amerikanischen Bräute so‹, fragte er mich.«
    Keiner habe ihm geglaubt, sagte Mûsa.
    Zwar behaupteten alle, ihm zu glauben, aber der Neid blitzte ihnen förmlich aus den Augen, so als habe er tatsächlich mit dem Mädchen geschlafen. Am Ende glaubte Mûsa die Geschichte selbst und erzählte sie mit siebzig sogar einmal seinem Sohn. Iskandar, der zu der Zeit bei der Beiruter Ahrâr-Zeitung arbeitete, hatte seinen Vater gefragt, was an der Liebesbeziehung zwischen Marika und dem Bischof dran sei. Darauf hatte Mûsa von seiner Zeit in Tiberias als Achtzehnjähriger berichtet. Er habe, erzählte der Vater, das wortkarge amerikanische Mädchen umarmt und dann die Flucht ergriffen. Es sei keine bewusste Entscheidung zu fliehen gewesen, sondern ein Reflex, denn für das, was danach geschah, sei er noch nicht bereit gewesen. »Auf alles war ich gefasst, nur nicht darauf. Ich weiß nicht, wie es passierte, aber plötzlich steckte ich in ihr drin. Und da erfasste mich die blanke Angst. Ich erinnere mich nur noch an meine Angst und an das Gefühl der Einsamkeit, als ich ihre Schreie hörte.«
    »Das heißt, die Geschichte stimmt«, bemerkte der Sohn.
    »Ich weiß es nicht. Jedenfalls kann das, was der Pfarrer behauptete, nicht die Wahrheit gewesen sein. Nein, so war es bestimmt nicht. Wie das geht, habe ich erst später erfahren. Ich wollte nicht mit den Jungs nach Tel Aviv gehen. Dort gäbe es jede Menge Bars und Frauen, hieß es. Aber ich bin nie mitgegangen. Dann in Beirut habe ich gelernt, wie man es macht. Sie war aus Aleppo. Ihren Namen weiß ich nicht mehr. So war es damals. Es war nur im Nuttenviertel möglich. Dort haben wir unsere Erfahrungen gemacht. Aber das Mädchen in Tiberias, das war Liebe. Dann hat sie alles zerstört. Na ja, vielleicht war es gar nicht ihre Schuld. Ihr Vater war verrückt. Er hat die Sache mit der Vergewaltigung und so weiter erfunden. Das eigentliche Problem aber war die Nonne. Sie hat die Sünde angeblich gerochen. Daraufhin drängte mich meine Mutter, Gott hab sie selig, in die Kirche zu gehen und die Beichte abzulegen. Ich hatte nichts zu beichten. Was hätte ich sagen sollen? Jedenfalls, die Einzige, die mir beistand und Mutter sagte, dass sie mich in Ruhe lassen solle,

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