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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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eingeheiratet hatten, die noch aus osmanischen Zeiten den Emir-Titel trug, mittlerweile aber in würdiger Armut lebte. Mûsa begriff, dass die Pflege der kranken Mutter ihm zufiel. Er war überzeugt, dass der Zerfall der Familie auf Salîms Dummheit und die Heimtücke der Mutter zurückging. Er konnte nicht glauben, dass seine Mutter unschuldig war. Er hatte das nagende Gefühl, dass sie in Salîms perfiden Plan eingeweiht war und wusste, dass ihr Ältester, um der Armut zu entkommen, Nadschîb zu einer Doppelhochzeit mit den beiden wohlhabenden Aleppiner Schwestern überreden und damit Milias Glück zerstören würde. Daher der anklagende Blick, den Mûsa der Mutter zuwarf, als Nikola wutschnaubend drohte, »den Dreckskerl« Salîm umzubringen. Saada leugnete, etwas gewusst zu haben. Mûsa aber war sich sicher, dass sie das Vorhaben ihres ältesten Sohnes gutgeheißen hatte.
    Als Mûsa irgendwann Adâl Na’ma heiratete und sie in das alte Haus einzog, beschloss Saada, das Feld zu räumen und allein zu leben, weil Adâl ihr Dauerleiden nicht ertrug. Außerdem wollte sie nicht so enden wie Hasîba, umgeben von Hass, geplagt von Angst und Gedächtnisverlust. Mûsa mietete für die Mutter eine Wohnung in der Nähe des Klosters an, wo sie allein leben und zur Gesellschaft die Heilige haben würde. Schwester Mîlânas Augen waren zu dem Zeitpunkt bereits so weit vom grünen Star befallen, dass sie sich, in einer Welt des blauen Weihrauchs treibend, rundum von Heiligen umgeben fühlte.
    Saada wollte Milias Foto mit in die neue Wohnung nehmen. Mûsa aber sperrte sich dagegen. Nein, in Wirklichkeit hat er sich nicht gesperrt. »Selbstverständlich kannst du es haben, Mutter«, sagte er, hängte es ab und reichte es ihr. Während sie es in altes Zeitungspapier einwickelte, starrte er die entstandene Leere an der Wand an und brach in Tränen aus. Verwundert sah ihn die Mutter an.
    »Dann sag doch, dass du dich nicht davon trennen kannst. Nein, du sollst nicht weinen. Ich will das Bild nicht, wenn dich das so traurig macht«, sagte sie, wickelte das Foto wieder aus und stieg auf das Bett, um es an seinen Platz zu hängen.
    »Nein, Mutter. Komm herunter! Bitte, komm herunter!«, rief Mûsa. »Leg es aufs Bett.«
    Saada legte das Bild auf das Bett und zog in die neue Wohnung.
    Die Mutter hatte seine Tränen falsch gedeutet. Mûsa beließ sie in ihrem Glauben. In Wirklichkeit weinte er nicht, weil Milias Foto das Haus verlassen sollte, sondern aus einem anderen Grund. Den Lîwân würden nun, so war es abgesprochen, seine beiden Töchter beziehen. Und die beiden pubertierenden Mädchen würden die Wände zweifellos mit allerlei Fotos tapezieren. Fotos von Abd al-Halîm Hâfidh 6 , Dalîda 7 und anderen Idolen, die über Fantasie und Lebensgefühl der unversehens in die Moderne gestolperten Stadt herrschten. Selbstverständlich würde Milias Foto früher oder später weichen müssen. Daher war Mûsa sogar erleichtert, als die Mutter Interesse an dem Foto äußerte, und überließ es ihr gern. Als ihn dann aber die weiße Leere anstarrte, machte es ihn beklommen. Denn Milias Abbild schimmerte in dem Weiß. Es war, als hätte das Foto auf die Wand abgefärbt. Mandelförmige Augen im Schatten des Lichts, das aus ihnen strahlte. Das Gesicht, schemenhaft umrissen von grauen Punkten auf der abplatzenden Farbe.
    »Das Bild ist auf die Wand übergegangen«, wollte er sagen. Die Mutter aber würde das nicht verstehen, ja nicht einmal verstehen wollen. Warum hätte er sie also darauf aufmerksam machen sollen?
    »Salîm ist schuld«, sagte Saada.
    Mûsa hätte ihr, seiner Mutter, die ihm und Adâl mit ihrem ständigen religiösen Hokuspokus das Leben zur Hölle machte, am liebsten ins Gesicht gebrüllt. Aber er tat es nicht. Er sagte nicht, was ihm auf der Zunge brannte. Dass sie schuld war. Dass sie sich mit Salîm verbündet hatte. Dass sonst nicht geschehen wäre, was geschehen war, weil Salîm nicht den Mumm hatte, eigenständig Entscheidungen zu treffen. Dass er niemals das Jurastudium an der Saint-Joseph-Universität abgebrochen hätte und nach Aleppo gegangen wäre, hätte sie ihn nicht dazu ermuntert. Davon war Mûsa nach wie vor überzeugt.
    Zehn Jahre danach tauchte Salîm auf, um, wie er behauptete, die Mutter zu sehen.
    Das Vergangene sei vergessen und vergeben, sagte die Mutter und lud alle Söhne zu einem Festmahl zu Ehren von Salîm und seiner dicken Frau ein. Alle schlossen den Erstgeborenen, der kein Anwalt geworden war,

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