Als schliefe sie
Fischart und über die schmerzhafte Erfahrung, die der Achtzehnjährige in der Fremde gemacht hatte. Doch dann sprang sie wie angestochen auf.
»Ich rieche die Sünde!«, rief sie verstört. »Komm zu mir ins Kloster, mein Sohn, und leg die Beichte ab.«
Woher wusste die Nonne von der Amerikanerin, in die sich Mûsa verliebt hatte?
Das Ganze sei nichts als eine alberne Erfindung der Nonne, wehrte er ab. »Ich habe mich weder verliebt noch sonst etwas. Ich bin ein Mann wie jeder andere. Das ist alles.«
Die Geschichte, die alle glaubten, entsprach nicht den Tatsachen. Milia wusste es. Als Einzige. Mûsa hatte sie in sein Geheimnis eingeweiht und sie gebeten, das Gesagte für sich zu behalten. Also hat Milia keinem je ein Wort davon verraten. Seinem Erlebnis mit Susan, der Tochter des Pfarrers Jakob Dschâmûs, lauschend, spürte sie, wie Worte zu Lebewesen werden, die vor Lust beben und in Leidenschaft entflammen.
Er sprach von Liebe. Das sei keine Liebe, sondern eine Mischung aus körperlichem Begehren und Seelenverwandtschaft, bemerkte Milia und erzählte ihm von dem Dichter Dschamîl bin Ma’mar 5 . Dieser hatte den Namen seiner Liebsten angenommen, sich also in Dschamîl Buthaina umbenannt, weil er glaubte, dass seine Liebe auf diese Weise nicht mit ihm sterben, sondern dem Geist der Liebsten auch über ihren Tod hinaus nachklingen würde.
»Aber ich bin nicht so«, wehrte Mûsa ab. »Ich bin nicht so verrückt wie dein Dichter. Wie Feuer brennt es in meinem Herzen. Ich habe Tiberias verlassen, die Geschichte vergessen, erinnere mich nicht einmal mehr daran, wie sie aussah. Trotzdem ist das Feuer noch da. Es steigt aus dem Herzen in die Kehle auf, und ich habe das Gefühl zu ersticken.«
Mûsa erzählte von der Siebzehjährigen mit den großen Augen. Jeden Sonntagmittag kam sie ins Schâti’-Hotel und aß mit ihrem Vater, dem Pfarrer, gebratenen Fisch. Der Pfarrer trug einen roten Tarbûsch und, als Zeichen seines geistlichen Standes, über dem weißen Hemd einen schwarzen Kragen. Er trank eisgekühlten Weißwein und sah seiner Tochter, stets in ein Gespräch mit ihr vertieft, unverwandt in die braunen Augen.
Mûsa sah sie und verliebte sich auf der Stelle. Sie trug immer Kleider in Brauntönen, war groß, schmal in der Taille, hatte eine kleine, feine Nase, schmale Lippen und schaute sich immerzu um, als warte sie auf jemanden.
Pfarrer Jakob Dschâmûs hatte in Amerika zum christlichen Glauben gefunden. Ursprünglich stammte er aus einer jüdischen Familie, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Safad lebte. Er hatte sich in eine amerikanische Touristin verliebt, die fünfzehn Jahre älter war als er, und war ihr, Dorothy hieß sie, nach Portland gefolgt. Dort hatte das Paar in einer protestantischen Kirche der Adventisten geheiratet. Jakob hatte sich dem neuen Glauben angeschlossen und Theologie studiert. Gearbeitet hatte er als Geschäftsmann und als Missionar zusammen mit Dorothys Bruder. Dann war Dorothy gestorben, worauf er mit seiner Tochter Susan in die Heimat zurückkehrte. Seither lebte er, als Pfarrer ohne Gemeinde und Kirche, von den Zuwendungen, die ihm die amerikanische Missionsgesellschaft der Adventisten zukommen ließ. Seine Familie hatte sich von ihm abgewandt. Und die Araber konnten sich mit einem Christentum, das wie die Juden den Samstag heiligte, nicht anfreunden. Die orthodoxe Gemeinde in Tiberias, die gesammelt zum Protestantismus übergetreten war, bekannte sich zur presbyterianischen Kirche der amerikanischen Missionare. Vorsteher dieser Kirche in Tiberias war ein Priester syrischen Ursprungs namens Abdallah Sâjigh, bekannt für seinen arabischen Chauvinismus und seinen Hass auf die jüdische Einwanderung. Pfarrer Abdallah führte eine üble Kampagne gegen Pastor Jakob. Er bezichtigte ihn der Scharlatanerie und untersagte den Mitgliedern seiner Gemeinde jeden Kontakt mit ihm, weil er, so behauptete Pfarrer Abdallah, kein Christ sei und womöglich sogar als zionistischer Spion agiere mit dem Ziel, die Christen Palästinas zu spalten.
So blieb Pastor Jakob nur ein einziges Gemeindemitglied. Seine hübsche Tochter, die ausschließlich Englisch sprach.
Dass Susan nicht Arabisch sprach, fiel Mûsa nicht auf, da er nie Gelegenheit zu einem Gespräch mit ihr hatte. Sobald sie sonntags im Hotelrestaurant auftauchte, setzte er sich an einen Tisch, von dem er sie gut sehen konnte. Eindringlich schaute er ihr in die braunen Augen. Trafen sich ihre Blicke, dann führte er einen stummen
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