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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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Dialog mit ihr. Sie faszinierte ihn. Ihr Reiz steckte in dem flüchtigen Lächeln, das ihren Lippen offenbar unwillkürlich entfloh, das sie dann aber schnell zurückrief, wobei sie, die Stirn in Falten gelegt, zu Boden schaute und mit dem Essen innehielt.
    Ihr Vater war anders. Obwohl er aus seinem alten und neuen Umfeld ausgestoßen war, machte er einen unbeschwerten Eindruck. Er stopfte sich Fisch um Fisch aus dem See Genezareth in den Mund, und er sprach alle an. Wurde er ignoriert, plauderte er trotzdem in einem höchst eigenartigen palästinensischen Dialekt weiter.
    Mûsa ließ sich von Pfarrer Jakobs zweifelhaftem Ruf und dem Verdacht der Spionage, der an ihm haftete, nicht abhalten. Er war von der Anmut seiner Tochter hingerissen. Kaum hörte er ihren leichten Schritt auf dem Restaurantboden, flatterte sein Herz. Die ganze Woche wartete er auf den Sonntag. Er zählte die Tage, und am Samstagabend begann er die Stunden zu zählen. In Vorfreude wachte er bis spät in die Nacht und legte sich irgendwann doch schlafen. Aber nur, um die Ankunft des Morgens zu beschleunigen. War es endlich so weit, dass sie mit ihrem Vater erschien, dann wusste er nicht so recht, was tun, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Also setzte er sich wie immer an einen Tisch mit freier Sicht auf ihren Tisch, bestellte gebratenen Muscht-Fisch und Teigtaschen, gefüllt mit frischem Thymian, und einen Arrak. Bedächtig an seinem Glas nippend, ließ er sich in ihre Augen fallen. Das Essen rührte er nicht an. So zogen die Tage ins Land, ohne dass Mûsa seine Liebste je angesprochen hätte, bis Pfarrer Jakob schließlich den Weg bereitete.
    Nachdem er Muscht-Fisch und zum Nachtisch Johannisbrotsirup mit Sesampaste verspeist hatte, wandte sich der Pfarrer an den jungen Libanesen und fragte ihn, warum er nicht esse. Er wartete die Antwort nicht ab, sondern stand auf, ging an Mûsas Tisch, nahm einen Fisch von seinem Teller und segnete ihn. »So, und jetzt iss, mein Sohn. Iss so viel du magst. Die Speise wird nicht ausgehen, weil Adonai, Friede sei mit ihm, dieses Meer, das Meer von Galiläa, mit seinen heiligen Füßen gesegnet hat. Weißt du, dass Adonai hier auf dem Wasser gegangen und nicht untergegangen ist? Während er auf dem Wasser ging, schwammen unter ihm die Fische. Der Messias beugte sich zu den Fischen herab und segnete sie. Deshalb wird das Meer von Galiläa nie ohne Fische sein, bis ans Ende aller Zeiten.«
    Der Pfarrer redete und aß. Sie solle sich zu ihm und Mûsa an den Tisch gesellen, forderte er seine Tochter auf. Draufhin setzte sich das Mädchen um und schaute wie entrückt in die Luft. Da entdeckte Mûsa das Geheimnis. Sie sei nicht von dieser Welt gewesen, sagte er zu seiner Schwester. Nach der kurzen Begegnung im Restaurant traf er sie drei Mal. Er wartete vor ihrem Haus auf sie. Wenn sie herauskam, folgte er ihr. Er holte sie ein und ging eine Weile neben ihr her. Seinen Gruß erwiderte sie mit einem Kopfnicken. Sie sei wunderschön, sagte er und fragte, ob sie mit ihm im Libanon leben würde. Er habe sich auf den ersten Blick in sie verliebt und erkenne sie an ihrem leichten Schritt. Unvermittelt verabschiedete sie sich, indem sie die Hand hob, und verschwand in einer engen Gasse, die zum Frauenbad führte. Zwei Tage später, als sie mit ihrem Vater im Schâti’-Hotel bei Tisch saß, fasste er sich ein Herz, trat an ihren Tisch heran, begrüße den Pfarrer mit einem Handschlag und reichte ihr dann die Hand. Wie es ihr im türkischen Bad gefallen habe, fragte er mit hochrotem Kopf. Susan gab keine Antwort. Dafür aber hielt der Pfarrer einen Vortrag über die Bedeutung der arabischen Bäder in der andalusischen Kultur. Juden, Araber und Muslime hätten in Cordoba und Granada gemeinsam gebadet. Toleranz sei das Wasser. Deshalb stelle die Taufe die Essenz der christlichen Lehre dar. Der Katholizismus habe das nicht begriffen. Deshalb hätten die Kastilier, als sie Andalusien eroberten, die Bäder zerstört und die Bücher verbrannt. »Das ist die Barbarei, mein Sohn! Sie sollten einmal zu uns in die Kirche beten kommen!«
    Die drei Begegnungen, bei denen Mûsa seine seltsame Liebste traf, verliefen ähnlich. Deshalb konnte er seiner Schwester kaum etwas erzählen. Er folgte der Schönen, holte sie ein, ging neben ihr her, sprach sie an, bekam keine Antwort, und am Ende verschwand sie in die Gasse, die zum Bad führte.
    Eines Tages war Susan fort.
    Pfarrer Jakob kam nur noch allein ins Restaurant. Statt Weißwein trank er

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