Als schliefe sie
Arrak. Sein gluckerndes Lachen war verflogen. Dafür war sein Gesicht von Kummerfalten gezeichnet. Mûsa stand auf und ging an den Tisch des Pfarrers, um ihn zu begrüßen. Der Pfarrer aber starrte unverwandt auf seinen Teller. Stumm den gebratenen Fisch kauend und Arrak trinkend, stierte er vor sich hin, die Augen trüb, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen.
Mûsa traute sich nicht, nach seiner Liebsten zu fragen. Von einem Tag auf den anderen war sie wie vom Erdboden verschluckt. Vor dem Haus zu warten hatte keinen Zweck. Der Sonntag stand nun nicht mehr für ein freudiges Wiedersehen, und der Anblick von gebratenem Fisch erregte in ihm nur noch Unbehagen, ja Widerwillen. Er verzichtete auf den Fisch des Messias, saß stattdessen einfach nur im Café des Schâti’-Hotels und ließ, von tiefer Einsamkeit erfüllt, den Blick über das stille Wasser des Sees Genezareth schweifen.
Der Pfarrer erzählte ihm, was geschehen war.
Pfarrer Jakob trat an seinen Tisch, bat, sich setzen zu dürfen, und fing an zu reden. Warum er sich denn nicht nach seiner geliebten Susan erkundige, fragte der Pfarrer. Mûsa geriet ins Stottern, wusste nicht, was er sagen sollte. Susan sei nach Amerika zurückgegangen, berichtete der Pfarrer, weil sie mit dem Leben im Heiligen Land nicht zurechtkomme. Sie wollte kein Arabisch lernen. Und das bisschen Hebräisch, das sie in Amerika gelernt hatte, war ihr plötzlich entfallen. Seit sie im Land war, hätte sie unter Panikzuständen und Alpträumen, die vom Tod handelten, gelitten. Sie hasse dieses Land, wolle es auf dem schnellsten Weg verlassen und nach Portland zurück. Er habe mit den unterschiedlichsten Argumenten versucht, sie zum Bleiben zu bewegen. Und unter anderem Mûsa angeführt. »Ich habe ihr gesagt, dass du sie liebst, und dass die Liebe das Tor zum Leben ist. Aber sie hatte ihren Entschluss gefasst. Ich weiß nicht, was ich hier noch soll. Die Araber betrachten mich als Juden. Und die Juden werfen mir vor, die Religion meiner Vorfahren verraten zu haben. Ich werde meiner Tochter folgen und zurückgehen.«
Der Pfarrer machte ein Angebot, das Mûsa die Sprache verschlug. »Komm mit nach Portland. In Amerika gibt es jede Menge Arbeit. Du trittst in unsere Kirche ein, wirst ein Glaubensbruder, und ich gebe dir Susan zur Frau. Was hältst du davon?«
Mûsa war überfordert. Was hätte er sagen sollen? Dass ihm jetzt so einiges klar wurde? Klar wurde, dass Susan ihn nicht verstanden hatte? Dass sie fortgegangen war, ohne erfahren zu haben, wie sehr er sie liebte? Dass er diese neuen Religionen verabscheue und ihm die ölgetränkten Wattebällchen, die seine Mutter ihm als Kind gewaltsam in den Rachen gestopft hatte, genug Religion gewesen seien? Oder hätte er sagen sollen, dass er Muscht-Fisch nicht mochte? Dass er ihn nie gemocht, ihn nur seinet- und seiner Tochter wegen gegessen habe? Dass der einzig wahre Fisch die von Korallen, Sonne und Salz gefärbte Rote Meerbarbe sei? Dass nichts an Salzwasserfisch heranreiche? Dass dieser See, der die Jesusgeschichte erlebt habe, ihn mittlerweile anöde? Dass er nach Beirut zurückwolle, um endlich einmal wieder richtig schlafen zu können, weil nur die Feuchtigkeit des Meeres und der Salzgeruch tiefen Schlaf bescheren?
Mûsa fühlte sich betrogen. Betrogen von einer jungen Amerikanerin, die ihn mit dem duftenden Weiß ihrer Arme verführt hatte. Er sah dem Pfarrer in die geschlossenen Augen – der Pfarrer hielt nämlich beim Reden, wie um die Teufel zu rufen, die ihm ins Ohr flüsterten, die Augen geschlossen. Jedenfalls sah Mûsa dem Pfarrer in die geschlossenen Augen, und da wurde ihm bewusst, dass er betrogen worden war. Schlagartig begriff er, dass die Schöne, die, aus dem Bad kommend, ihm mit ihrem Duft den Kopf verdreht hatte, nichts als eine Illusion war.
Warum er Susan versucht habe zu entjungfern, wollte der Pfarrer von ihm wissen.
»Nach dem Treffen mit dir hat Susan unter Schock gestanden«, sagte der Vater. »Sie war in dich verliebt. Sie sei, so hat sie mir offenbart, in den jungen Libanesen verliebt, der den ganzen Tag an der Straßenecke auf sie wartete, aber nie mit ihr sprach. ›Es war wie eine Vergewaltigung‹, so hat sie gesagt. ›Er kam ins Haus. Ich habe ihn eingeladen. Ich hatte ihn drei Mal getroffen. Er begleitete mich bis zum Bad, wartete draußen auf der Straße auf mich, und wenn ich frisch gebadet heraustrat, kam er, vergrub die Nase in meinem Haar und atmete den Duft tief ein, als wollte er
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