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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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verflog.
    »Sie ist weder grün noch blau«, stellte die Nonne fest. »Sie war einfach nur erschöpft, und jetzt ist alles wieder in Ordnung.«
    Saada beruhigte sich. Das Zittern ließ nach. Dann brach sie in Tränen aus. Sie weinte, wie Jûsuf es nie zuvor erlebt hatte. Unaufhaltsam rannen ihr die Tränen, liefen die Wangen hinab, tropften auf Nachthemd und entblößten Unterleib. Jûsuf starrte auf jene Stelle, die er bisher nur als dunklen Fleck wahrgenommen hatte, nach dem er tastete, wenn er das göttliche Geschenk der Lust genießen wollte.
    »Raus hier, Mann!«, bohrte sich ihm Nadras Stimme ins Ohr.
    »Er soll hierbleiben!«, widersprach die Nonne mit dünner, näselnder Stimme. »Es soll ruhig mitbekommen, wie seine Frau leidet.«
    Jûsuf war schon im Begriff zu gehen, als die Nonne ihn zurückhielt.
    »Hiergeblieben!«, bestimmte sie. »Und Nadra, du machst dich bereit, das Kind aufzufangen. So, dann mal los, Saada, mein liebes Kind! Kräftig gepresst, und dann hast du es überstanden.«
    »Pressen«, wiederholte Nadra leise, auf dem Boden vor Saadas Schenkeln kniend, die Hände vorgestreckt.
    Plötzlich kehrte im Raum Stille ein. Als hätte sich Saada in den Schlaf fallen lassen, entspannte sich ihr schweißgebadetes Gesicht. Schlagartig war sie wieder weiß wie eh und je. Ein samtiges, unmerklich leuchtendes Milchweiß. Dieses Weiß würde Milia erben, es sollte ihre Schönheit ausmachen. Jene Schönheit, die Mansûr verzauberte und aus Galiläa nach Beirut lockte. Nur, um ihr strahlendes Weiß mit den Augen zu verschlingen.
    Die Handflächen leicht gerundet, fing Nadra das Neugeborene auf und drückte es unwillkürlich an die Brust. Vor lauter Aufregung und Freude vergaß sie, was sie hätte tun müssen.
    »Hoch mit dem Kind! Schnell!«, schrie die Nonne.
    Schwerfällig richtete sich die Hebamme auf, durchtrennte die Nabelschnur, hielt das Baby an den Unterschenkeln in die Höhe. Und noch bevor sie ihm einen Klaps auf den Hintern gab, stieß sie einen Freudentriller aus.
    »Babys weinen, sobald sie auf die Welt kommen. Du aber warst ganz ruhig«, erzählte Saada ihrer Tochter. »Nadra hat vergessen, dir einen Klaps auf den Hintern zu geben. Deshalb hat dich Schwester Mîlâna geschnappt. Und in den Armen einer Heiligen weint niemand!«
    Jûsuf sah das anders.
    »Was du immer erzählst, Saada! Die Nonne hat ihr so heftig auf den Hintern gehauen, dass sie gar nicht mehr aufgehört hat zu plärren. Aber in Anwesenheit der Nonne bekommst du offensichtlich nichts mit! Wie hypnotisiert bist du dann.«
    »Herzlichen Glückwunsch! Milia ist da!«, sagte die Nonne und wies Nadra an, das Mädchen mit Wasser und Salz zu waschen.
    »Wieso Salz?«, fragte Nadra. »Mit Salz waschen wir niemanden.«
    »Wasser und Salz«, bestimmte die Nonne, wandte sich Jûsuf zu und bat ihn, eine Flasche Olivenöl zu holen.
    Nadra wusch Milia mit Wasser und Salz. Anschließend rieb Schwester Mîlâna die Kleine mit Öl ein, wickelte sie in ein weißes Tuch und hob sie über dem Bett in die Luft, wie um sie an die weiße Kalkwand zu hängen.
    »Herzlichen Glückwunsch! Milia ist da! Gott behüte sie. Möge Gott sie wachsen und gedeihen lassen und alles Böse von ihr fernhalten«, sagte Schwester Mîlâna, legte das Mädchen auf die Brust seiner Mutter und ging.
    Jûsuf rannte hinterher und küsste der Nonne dankend die Hände. Den Geschmack von Salz und Öl an den Lippen, beugte er sich über Saada und küsste sie auf die Stirn.
    »Milia ist da!«, sagte Saada, den Blick auf die weiße Kalkwand gerichtet. Sie sah dort ein Bild hängen, genau an der Stelle, an die Schwester Mîlâna das Kind gehoben hatte.
    »Milia? Was ist das für ein Name? Ich will sie Helene nennen«, sagte Jûsuf.
    »Sie heißt Milia! Mit diesem Namen ist sie auf die Welt gekommen. Du hast doch gehört, wie die Nonne den Namen ausgesprochen hat! Also Schluss jetzt!«, beendete Saada die Diskussion.
    Vierundzwanzig Jahre später sollte Saada staunend vor dem Bild stehen, das Mûsa im Lîwân exakt dort an die Wand hängte, wo Schwester Mîlâna die mit Salzwasser gewaschene und mit Öl balsamierte Milia gehalten hatte. Dasselbe Bild habe sie dort unmittelbar nach Milias Geburt gesehen, erzählte sie ihrem Sohn, der sie nur entgeistert ansah und streng die Stirn runzelte, damit sie schwieg.
    Diese Offenbarung äußerte Saada erst, als ihr von ihrer Tochter schon ein Jahr lang nichts anderes mehr als das Bild geblieben war.
    »Als die Nonne sie hochhielt, wurde Milia

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