Als schliefe sie
Hände und Füße der Gebärenden fleckig überzog. Entkräftet lag Saada da, weinend. Nur noch ein winselnder Haufen Elend. In die Tränen mischte sich der Schweiß, der ihr von der Stirn rann. Nadra tupfte Saada mit einem Handtuch Schweiß und Tränen vom Gesicht und konnte kaum glauben, was sich vor ihren Augen abspielte. Der Schweiß färbte das kleine weiße Handtuch gelb.
Nadra wurde unruhig.
»Ich weiß nicht mehr weiter, Schwester! Was soll ich machen?«
Ohne jede Hast machte sich die Nonne ein Bild von dem Geschehen. Dann teilte sie entschlossen Befehle aus, und im Nu war alles vorbei.
Das Grün, dass schimmelartig alles bedeckte, hatte Nadra völlig aus der Fassung gebracht, ja handlungsunfähig gemacht. Sie wollte nur noch eines: die Tür aufreißen und aus der Hölle flüchten.
»Saadas Farbe hat mir solch einen Schrecken eingejagt«, erzählte sie später einmal der kleinen Milia, »dass ich drauf und dran war, wegzulaufen und dich im Bauch deiner Mutter zu lassen.«
»Wäre ich dann jetzt noch in Mamas Bauch?«, fragte das Mädchen.
»Nein, nein, so meine ich das nicht. Das war nur so dahingesagt.«
Milia nickte, als hätte sie verstanden. In Wirklichkeit aber hatte sie nicht verstanden. Jahre später, von ihrem Liebsten aus unerfindlichen Gründen verlassen, erkannte sie, dass Worte nichtssagend sind. Sie begriff, dass Menschen reden, um die Leere zu überbrücken, die zwischen ihnen und den anderen liegt, und um das eigene Innere mit dem Klang der Sprache zu füllen.
Milia hat ihre Geburt bruchstückhaft im Traum gesehen. Diese Bilder aber wollte sie auf keinen Fall in die Traumgrube verbannen. Sie sah das Gelb. Sah, wie es sich ausbreitete, schrak hoch. Sie riss die Augen auf. Ein Schrei entfuhr ihr. Unwillkürlich stand sie auf und legte sich neben Mûsa ins Bett.
Nadra öffnete die Zimmertür. Staub wirbelte auf. Ein großer schlanker Mann trat von außen an die Schwelle.
»Und? Erzähl!«, flüsterte er aufgeregt.
»Saada geht es nicht gut. Sie braucht einen Arzt. Lauf zu Dr. Karîm Naqfûr. Er soll kommen. Sofort!«
»Was ist los?«, fragte Jûsuf.
Nadra legte ihm die Hand auf den Mund. Er schmeckte eine Mischung aus Blut, Schweiß und Kot. Von Übelkeit und Schwindel erfasst, lehnte er sich an die Tür.
»Steh nicht herum wie ein Idiot!«, schrie ihn Nadra an. »Nun mach schon! Geh!«
Jûsuf rannte los. Am Haus des Arztes angelangt, klopfte er an. Keiner öffnete. Er war ratlos. Noch immer haftete ihm der Blutgeschmack an den Lippen. Wieder wurde ihm schwindlig. Ein Gefühl der Ohnmacht befiel ihn. Er fühlte sich niedergeschlagen, hilflos, ausgeliefert. Seine Beine trugen ihn nicht mehr. Er ließ sich auf die Stufe vor dem Haus sinken und wartete auf den Arzt. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass seine Frau sterben würde, wenn er nichts unternähme. Also raffte er sich auf und rannte durch die gleißende Sonne zum Sankt-Michael-Kloster. Weshalb er ausgerechnet das Kloster aufsuchte, verstand er selbst nicht. Denn Hadscha 5 Mîlâna war ihm ein rotes Tuch. Ebenso der Zauber, mit dem sie Saada in ihren Bann zog. Unzählige Male hatte er die Nonne verflucht und seiner Frau angedroht, für immer zu verschwinden, wenn sie sich ihm weiterhin verweigerte.
»Hadscha Mîlâna«, so begründete Saada ihr Nein, »hat gesagt, dass es in der Fastenzeit Sünde ist.«
Deshalb musste er 50 Tage, also das Ende der 40 -tägigen Fastenzeit und die Auferstehung des Herrn Jesus Christus abwarten, um sich ihr nähern zu dürfen. Am Ostermorgen schließlich nahm er sie. Doch sie fühlte sich für ihn an wie ein dürrer Stock. Nicht die geringste Freude hatte er an der Sache. Das lustvolle Sprudeln, das er sonst immer verspürte, wenn er mit ihr schlief, blieb aus. Er ergoss sich. Sein Durst aber war nicht gestillt. Das Gefühl von ungestilltem Durst begleitete ihn seither, zeitlebens. Mit Saadas Eintritt in die Welt jener seltsamen Nonne war sein Sexualleben ein für alle Mal zerstört. Kaum näherte er sich ihr, schlug ihm aus ihren Augen die Scham entgegen. Wollte er sie küssen, dann drehte sie den Kopf weg. Und ihre Brüste durfte er schon gar nicht berühren. Wenn sie es überhaupt zuließ, musste er das Ganze möglichst ohne Umschweife erledigen. Eindringen, schnell fertig werden und wieder herausziehen. Dann huschte sie unverzüglich ins Bad und wusch sich, wie um die Spuren der Sünde restlos zu beseitigen.
»Die Nonne ist an allem schuld. Sie ist keine Heilige. Nein, das ist ein Teufel!«,
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