Als schliefe sie
hatte Nadschîb die Arme um sie gelegt, fing er an zu zittern. Dann rannte er ins Bad.
Als er zurück in den Garten kam, stand sie an den riesigen Paternosterbaum gelehnt. Er ging auf sie zu, wollte sie erneut umarmen. Doch sie wandte das Gesicht ab.
»Das reicht«, sagte sie.
»Liebst du mich?«, fragte er.
. . .
»Weißt du, was es heißt, verheiratet zu sein?«
. . .
»Das heißt, dass du dich ausziehst, nackt zu mir ins Bett kommst und ich dann mit dir schlafe.«
Sie hob die Hand, wollte sie auf seinen Mund legen. Blitzschnell griff er nach der Hand, führte sie an seinen Mund und küsste die Innenfläche, wanderte mit den Lippen zu den Fingern hinauf und erkundete saugend und leckend jeden einzeln. Milia fing Feuer, flammend loderte es in ihr. Sie brach fast zusammen, zog die Hand zurück, suchte Halt an dem Baum.
»Bitte geh jetzt. Du musst gehen. Meine Mutter kommt jeden Moment aus der Kirche zurück«, sagte sie mit bebender Stimme.
»Ich zieh dich aus«, fuhr er fort, »bade dich. Und wenn du wie ein Fisch im Wasser planschst, schlafe ich mit dir.«
In der Abendluft hing ein seltsamer Geruch. Es war windstill. Eine dunkle, neblig feuchte Decke lag drückend über der Stadt. Bei dem Geruch durchfuhr es Milia heiß und kalt. Denn das war der Geruch des armenischen Arztes.
Ein Schwindelgefühl mit leichter Übelkeit, begleitet von einer unbändigen, in den Fingern brennenden Lust übermannte sie. Sie merkte, wie sich ihre Schultern unwillkürlich verkrampften. Nadschîb redete. Milia wäre am liebsten davongerannt. In einem fort redete Nadschîb. Sie hörte nichts mehr. Denn ihr erschien ein Bild vor Augen. Sie sah sich in einem Wasserbecken stehen, die Ohren erfüllt von Insektengebrumm. Schleimig klebt ihr das Wasser an den Füßen. Sie will aus dem Wasser steigen. Doch Nadschîbs Worte lähmen sie. Sie kommt nicht von der Stelle.
Nadschîb sprach von zwei Granatäpfeln. Sagte, dass er alle erdenklichen Früchte aus ihrem Garten pflücken würde.
»Schluss jetzt«, sagte sie barsch.
Sie stand im Garten, umhüllt von tiefer Dunkelheit. Wie konnte es so schnell so dunkel werden? Fledermäuse prallten im blinden Flug gegen Bäume. Zum Schutz vor den wild herumflatternden Tieren und ihrem unverhofft herabregnenden Kot schlug Milia die Arme über dem Kopf zusammen. Sie wollte Nadschîb ins Haus bitten, wo sie vor Dunkelheit, Gebrumm und Fledermauskot sicher wären. Aber sie hatte Angst vor ihm. Angst vor sich selbst. Angst vor dem vollen Wasserbecken. Unvermittelt rannte sie weg. Er rief ihr hinterher. Wollte wissen, wohin sie ginge. Sie gab keine Antwort. Im Haus angekommen, verabschiedete sie sich aus sicherer Entfernung und verschloss die Tür.
»Aber ich will noch nicht gehen«, widersprach er. »Ich werde im Garten auf Salîm warten. Du kannst ja drinnen bleiben, wenn du willst.«
Milia verschwand ins Zimmer, sank auf das Sofa. Sie zitterte am ganzen Leib. Unter der Zunge haftete ihr ein bitterer Geschmack, vermischt mit einem seltsamen Geruch. Jenem Geruch, der aus ihrem gebrochenen Bein aufgestiegen war. Sie schloss die Augen. Da sah sie ihn. Ein breites Lachen. Strahlend weiße Zähne, blitzend im Dunkel der Nacht. Von den Bäumen tropft Wasser, das Laub wie von Tau geduscht. Er tritt an sie heran, nimmt ihre Hand, legt sie auf seine lustgebeulte Hose.
»Hier. Komm, leg deine Hand hierher. Fühlst du ihn? Wie ein Vogel. Hattest du schon einmal einen Vogel in der Hand? Und hast du sein Zittern gespürt?«
Der Vogel bebt in ihrer Hand. Die Hose wird feucht. Schwindel überkommt sie. Sie fällt ins Becken. Spinnweben schlingen sich ihr um Brust und Hals. Sie bekommt keine Luft mehr. Die Nonne erscheint. Die Nonne, in der Hand ein messingnes Räucherfässchen. Im Zimmer brennen Kerzen. Abu Salîm Schâhîn liegt auf dem Bett, umgeben von weinenden Frauen. Die Nonne schwenkt das Räucherfässchen, hält es Milia vor das Gesicht. Die Kohle glüht, die Harzstückchen verrauchen. Die Nonne bläst die Glut an, fordert Milia auf, den Mund anzunähern und mitzublasen.
»Die Glut darf nicht erlöschen, mein Kind. Du musst die ganze Nacht blasen, damit der Weihrauch den Tod einhüllt. Die Seele des Menschen muss ganz und gar von Weihrauch umschlossen zu Gott aufsteigen. Also puste kräftig!«
Milia bläst, Asche fliegt auf und ihr in die Augen. Sie reibt sich die Augen. Die Asche dringt umso tiefer ein. Plötzlich ist alles aschfarben. Das kleine Mädchen steht vor dem Mann mit weißen Zähnen. Sie
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