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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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Gott,
    rette mein Herz nun aus der Not.
    Deine Augen, nachtschwarz in Silberglück,
    martern mich bis in den sich’ren Tod.«

    »Ich?«
    »Natürlich du! Wer denn sonst? Trink!«
    Er führte das Glas an ihre Lippen. Sie trank einen Schluck, spürte ein Kratzen im Hals, hustete aber nicht.
    »Silberblick? Ich soll schielen?«, fuhr sie Mansûr vorwurfsvoll an.
    »Nicht Silberblick, sondern Silberglück. Das soll heißen, dass die Augen intensiv sind und leuchten. Solche Augen sind der Gipfel der Schönheit. Tiefes Schwarz in klarem Weiß. So wie die Augen von Da’d. Kennst du den Vers? ›Entbrannt in Liebe zu Da’d‹?«
    »Hör auf damit. Ich mag dieses Gerede nicht.«

    »Die Berührung ihr Ding anschwellen ließ.
    Man kam schwer hinein in die Glut.
    Es war, als durchstäch’ man ein dichtes Vlies,
    und heraus kam man auch nicht so gut.«

    »Weißt du, was »Ding« bedeutet?«
    »Jetzt geht es aber los!«, kommentierte sie entnervt. »Ich will jetzt schlafen.«
    »Das Wort Silberglück, mein Schatz, drückt strahlendes Weiß und Schönheit aus.«
    »Du denkst immer nur an das Eine!«
    »Als ich dich unter dem Mandelbaum mit einem Mann gesehen habe…«
    »Du hast mich gesehen?«
    »Klar habe ich dich gesehen. Die Mandelblüten über deinem Kopf sahen aus wie eine Krone, wie ein weißer Seidenschal. Du standest dort mit einem Mann, der mir ähnlich sieht. Ich schlich mich an euch heran, konnte aber kein Wort verstehen. Allerdings habe ich genau beobachtet, wie deine Lippen sich bewegten. Sie ist honigsüß, ein echter Genuss, dachte ich. Mir lief regelrecht das Wasser im Mund zusammen. Bald habe ich dich, sagte ich mir und schluckte den Speichel hinunter. An dem Tag habe ich dich Umm Amr genannt. Meine Mutter wird nicht begeistert sein. Sie will, dass ich den Jungen nach meinem Vater Schukri nenne. ›Aber, Mutter‹, widersprach ich, ›der Sohn meines Bruders heißt doch schon Schukri.‹ ›Das macht nichts‹, beharrte sie. ›Dann haben wir eben zwei Schukris.‹ So ist sie halt. Meinen Vater liebt sie erst, seit er tot ist. Egal. Du hast mir noch nicht gesagt, wie du meine Mutter findest. Magst du sie? Jedenfalls hat sie einen Narren an dir gefressen. Für sie bist du ein Engel. ›Junge‹, hat sie zu mir gesagt, ›dir ist ein Engel vom Himmel zugeflogen.‹ ›Der Engel schläft aber immer‹, sagte ich. Milia, hörst du mich? Wieso hast du die Augen zugemacht? Wir sitzen doch gerade so schön zusammen!«
    Sie legte die Hände auf die Augen, unfähig zu sprechen. Die Worte waren ihr verschlossen. Verschlossen wie eine Knopfleiste an einem langen Kleid, das sie am Körper trug. Um Zugang zur Welt zu finden und sprechen zu können, hätte sie das Kleid aufknöpfen müssen. Aber es ging nicht. Milia sah sich. Ein kleines Mädchen. Umringt von Knöpfen. Georges Nâschif sitzt gähnend in seinem Laden. Um ihn herum fallen Knöpfe von der Decke. Milia steht da. Sie hält einen Knopf in der Hand, streckt ihn dem Verkäufer entgegen. Georges nimmt ihn ihr ab, öffnet eine Schublade, holt einen Haufen Knöpfe heraus und legt sie vor sich auf dem Tisch aus. Im Laden leuchten Farben über Farben. Es regnet Knöpfe. Milia steht im Knopfregen. Georges Nâschif lacht. Unzählige Hände greifen nach den Farben. Milia ist den Händen ausgeliefert. Sie hat das Gefühl zu ersticken. Sie öffnet die Augen.
    Die Bettdecke lag nicht mehr auf, sondern neben ihr. Vor Kälte zitterte sie am ganzen Leib. Sie deckte sich zu und schlief wieder ein. Eine lange Treppe. Sie stürzt. Nikola trägt sie zu den beiden Ärzten. Durchdringender Gewürzduft raubt ihr den Atem. Warmes Öl ergießt sich auf ihre Beine. Sie öffnet die Augen. Neben ihr lag schnarchend der kleine Mûsa.
    Milia wusste weder, wie sie diesen Traum hätte erzählen sollen, noch, wie sie mit ihm hätte leben können. Sie hörte die Mutter mit den Nachbarinnen tuscheln. Über einen Dreckskerl, der es darauf angelegt habe, alle Frauen zu verführen, und sich bei besonders Schönen überaus großzügig zeige.
    Was hatten die Knöpfe in der Geschichte mit den beiden Ärzten zu suchen?
    Milia wollte Mansûr alles sagen. Wollte ihm sagen, dass Worte sie wie eine Leiste geschlossener Knöpfe an einem langen Kleid einengten. Wollte sagen, dass die Knöpfe sich nicht öffnen ließen und sie deshalb unmöglich seinem Wunsch nachkommen und reden könne. Sie wollte sagen, dass sie sich jedes von ihm rezitierte Gedicht gemerkt habe. Dass das Metrum in ihrem Mund jedoch

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